Mitreißende Geschichte zweier Kindheiten

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
maesli Avatar

Von

Sibir ist die Geschichte eines Mannes, der als 10jähriger mit seiner Familie von Stalin in die Steppe Kasachstans zwangsübersiedelt wird und in den 50ger Jahren als Rückkehrer nach Deutschland kommt, um sich in Mühlheide niederzulassen. Sibir ist aber auch die Geschichte seiner Tochter Leila, die ihrem Vater, der sein Gedächtnis zu verlieren scheint, nochmals in diesen dunklen Teil der eigenen Vergangenheit begleitet.
Sibirien ist ein fruchterregendes Wort, das die Erwachsenen für alles verwenden was im fernen, fremden Osten liegt. Dorthin werden Hunderttausende deutscher Zivilisten von der Sowjetarmee verschleppt, unter ihnen ist auch Josef Ambacher. Dort angekommen findet er sich in einer harten, aber auch wundersamen, mythenvollen Welt wieder und lernt, sich gegen die Steppe und ihre Vorspiegelungen zu behaupten.
1990 in Deutschland, Josef Ambacher hat sich ein erfolgreiches Leben in Deutschland aufgebaut, wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert, als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Woge von Aussiedler die niedersächsische Kleinstadt erreicht.

Meine persönlichen Leseeindrücke
Dieser Roman bietet unheimlich viel: er ist Geschichtsunterricht, wenn er über Maria Theresias Siedlungspolitik, den Gräueltaten des Stalinregimes und von Adenauer erzählt; er unterhält, wenn er die Kindheit der jungen Leila im niedersächsischen Mühlheide widergibt, er bietet Einblicke in die Gesellschaft Kasachstans und Deutschlands; er erzählt über die eurasische Steppe, seinen Einwohnern und das Leben in dieser eigenartigen Zone, und er ist ein Familienroman, denn es geht um die Familie der Autorin.
Und das alles ist toll geschrieben und überrascht mit Humor und Witz. Russlanddeutsche haben auch ein sonniges Gemüt, denke ich und erinnere mich gerne an den Roman „Nachtbeeren“ von Alina Penner.
Obwohl sich die Handlungen nur auf zwei konkrete Jahre beziehen, eines ist das Jahr 1945 in Kasachstan und das andere 1990 in Deutschland, sind die Zeitspannen davor und dazwischen bis zur Gegenwart so geschickt miteingeflochten, dass es trotz des vielen hin und her niemals kompliziert wird, der Geschichte zu folgen.
Zweifelsohne packen mich die Erinnerung Josef Ambachers an seine in Kasachstans Steppe mehr als Leilas Jugend in Deutschland, denn ich bin dem Reiz dieser endlosen Weite literarisch erlegen, auch wenn ich überhaupt keine Ahnung haben kann, wie es sich tatsächlich anfühlt, dort zu sein.

Fazit
Sibir von Sabrina Janesch erzählt mitreißend und in leuchtenden Farben die Geschichte zweier Kindheiten, einmal in Zentralasien nach dem 2. Weltkrieg und einmal fast fünfzig Jahre später in Norddeutschland. Ein Roman, der mich in allem überzeugen konnte und der meine Neugier über Kasachastans Steppe geweckt hat.