Schönes Buch mit Vorbehalt

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sursulapitschi Avatar

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Eigentlich hat dieses Buch alle Voraussetzungen für ein Lieblingsbuch. Eine fesselnde Idee, ein spannendes Setting, lebendige Figuren und sehr schöne Sprache. Leider hat sich der Plot ein bisschen verlaufen.

Es geht um die Familie Ambacher, die eine sehr wechselvolle Geschichte hat. Umgesiedelt, deportiert, vertrieben oder rückgekehrt. Josef Ambacher landet 1945 als Kind in Sibirien, in Kasachstan. Als Erwachsener verschlägt es ihn und seine Familie nach Mühlhausen in Norddeutschland. Und wo auch immer er lebte war er fremd und musste sich arrangieren.

Vielleicht bin ich mit falschen Voraussetzungen an dieses Buch herangegangen. Ich wollte die entbehrungsreiche Geschichte von Menschen lesen, die nach Sibirien deportiert wurden. Die gibt es hier natürlich auch, aber leider eher am Rande. Die Autorin wollte mehr und erweitert das Thema um einen Handlungsstrang in den 90er Jahren in Mühlheim.

Vergangenheit und Gegenwart greifen kunstvoll ineinander, das ist sehr schön gelöst und die Handlung in Sibirien ist durch und durch fesselnd. Man spürt die Kargheit, die Kälte, die Naturverbundenheit und auch Geheimnisvolles. Die kasachische Kultur ist hoch interessant und ursprünglich. Unter der russischen Knute haben alle zu leiden, Aussiedler und auch Einheimische.

Daneben erzählt Josefs Tochter Leila von ihrer Kindheit in Mühlheim und verliert dabei ein bisschen den Focus. Es liegen große Themen auf dem Tisch: Wie kommen „Rückkehrer“ in Deutschland zurecht? Sie waren in Russland noch nach Jahrzehnten „die Deutschen“ und in Deutschland sind sie „Die Russen“. Auch die zweite Rückkehrerwelle in den 90ern ist hoch spannend.

Das alles wird aber nur gestreift und tritt zurück hinter Leilas Kindheitserinnerungen, die sich hauptsächlich um einen unglücklichen Kinderstreich drehen, den ich durch und durch uninteressant fand, selbst wenn er natürlich, wie vieles in diesem Buch, einen doppelten Boden hat. Ich hatte beim Lesen ein wenig das Gefühl, wir beschäftigen uns mit Nebenschauplätzen und die interessanten Dinge bleiben liegen.

Das originelle, berührende Ende macht allerdings wieder ein bisschen gut.