Zwei Kindheiten

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wal.li Avatar

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Der zehnjährige Josef und seine Familie werden nach dem zweiten Weltkrieg in den Osten verschleppt. Sibirien - so nennen sie die ferne Weite, die dem kleinen Jungen als erstes die Mutter nimmt. Es ist ein Ort in Kasachstan, in dem sie landen und sich mit den Einheimischen arrangieren, die keinesfalls auf sie gewartet haben. Ein karges Leben mit einer Sprache, die sich Josef Wort für Wort erobert. Erst nach zehn Jahren dürfen sie in die damalige BRD ausreisen. Im Jahr 1990 kommen die neuen Aussiedler in Deutschland an. Auch in dem kleinen Heideort, in dem Josef und seine Familie eine Heimat gefunden haben.

In der Gegenwart verspürt Josefs Tochter Leila das Bedürfnis die Geschichten aus ihrer Kindheit ebenso zu bewahren wie die von ihrem Vater. Aber die Erinnerung ihres Vaters hat ihre Form verloren. Vielleicht kann Leila ihrem Vater helfen und gleichzeitig ihre gemeinsame Familiengeschichte durchdringen. Wie hat ihr Vater es empfunden, in dieser unwirtlichen Fremde, in der er doch auch Freundschaft fand. Und wie war es als in den 1990ern die Aussiedler in Deutschland ankamen, die für Josef seine Vergangenheit wieder lebendig werden ließ. Auch Leila, die neben ihrem alten Freund Arnold auch den neuen Freund Pascha fand, vertieft sich in die Vergangenheit.

Ein wehmütiger Roman über Menschen die auf unterschiedliche Arten von ihrem erzwungenen Aufenthalten in der ehemaligen Sowjetunion geprägt wurden. Nicht gewollt waren sie dort und fremd auch hier. Wie hat die Steppe sie verändert? Haben die, welche später ausreisen durften, mehr gelitten? Warum fühlt sich Josef schuldig? Warum ist er so speziell? Auch wenn man sich schließlich nicht komplett in die Menschen hinein fühlen kann, so wird immerhin Verständnis geweckt für das Leid, dass der Krieg über sie gebracht hat. Es wirkt über Generationen, sie gehen unterschiedlich damit um, sie können unterschiedlich viel Leid ertragen. Es gibt keine Erleuchtung, selbst wenn man Vorfahren hat, die fliehen mussten, deren Kinder auch diejenigen waren, die knapp nicht dazu gehörten. Dennoch berührt dieser Roman mit seinen Erzählungen und seiner Melancholie.