Sie ging nie zurück

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aoibheann Avatar

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"Eines Tages erzähle ich dir die Geschichte meines Lebens, da wirst du staunen..." Das sagt Paula zu ihrer Tochter Emma immer wieder. Doch es soll nie dazu kommen, dass die Mutter ihre Geschichte erzählt. Paula stirbt früh an Krebs, ihre unerzählte Lebensgeschichte behält sie für sich. Emma Brockes kann sich nur aus Fetzen ein vages Bild davon machen. Sätze, die ihre Mutter scheinbar ohne Zusammenhang in vielen Situationen von sich gab. Für Emma Brockes machen sie zunächst keinen Sinn. Nach dem Tod ihrer Mutter beschließt Emma die Geschichte ihrer Familie zu erforschen. Warum verließ ihr Mutter die Heimat Südafrika und zog ans andere Ende der Welt, nach London? Was und vor allem wen hat sie versucht hinter sich zu lassen?
Sie nimmt Kontakt zu verschiedenen Familienmitgliedern auf und versucht das Puzzle zusammenzusetzen. Dabei muss sie einen regelrechten Drahtseilakt vollführen, denn sie trifft wahlweise auf, Schweigen, Resignation und Leugnung.
Was also kann sie in Erfahrung bringen? Ihre Mutter Paula wird in Südafrika geboren, sie ist 2 Jahre alt, als ihre eigene Mutter stirbt. Der Vater Jimmy heiratet kurz darauf erneut, die Familie wächst - es werden weitere Kinder geboren. Für Paula sind dies alles ihre Brüder und Schwestern, die sie sehr liebt. Paula ist beliebt, ehrgeizig und eine Kämpfernatur. Erst im Verlauf ihres Besuchs in Südafrika kann Emma Brockes Details aus ihrer Verschwandschaft herauskitzeln. Missbrauch durch den eigenen Vater, exzessive Alkoholgelage des Vaters, ein Gerichtsprozess. Ein Vater, der seine Kinder und seine Frau unter Druck setzt. Eine Mutter, die den Geschehnissen zum Teil tatenlos zusieht und viel zu spät die Reißleine für sich und ihre Kinder zieht.
Den Geschwistern fällt es auch nach vielen Jahren Abstand noch enorm schwer, darüber zu sprechen. Nur Stück für Stück kann Emma ihre Familiengeschichte in Erfahrung bringen, weitere Informationen liefern ihr die Unterlagen aus dem Gerichtsprozess.

Ein Buch, dass mir sehr bewegt hat. Es ist eindrucksvoll und auch respektvoll geschrieben, genauso lässt es sich auch lesen. Es ist eine liebevolle Verbeugung vor dem Schicksal der eigenen Mutter, die so stark dafür gekämpft hat ihrem eigenen Kind Mut, Kraft und Stärke mit ins Leben zu geben. Die Art, wie Paula ihr Leben gemeistert hat ist schlicht und ergreifend bewundernswert.
Der leichte Plauderton vom Anfang, mit dem Emma Anekdoten aus ihrer Kindheit erzählt, weichen nach und nach der Sprache einer versierten Journalisten. Doch immer wieder kommen Angst, Unsicherheit, Trauer, Unglauben und Schock zwischen den Zeilen hervor.
Mir hat auch die Art gefallen, wie Emma Brockes über ihre eigenen Ängst schreibt. Ist sie dem Rest der Familie überhaupt willkommen? Wird man mit ihr über das Geschehene sprechen? Wird man sie deshalb ablehnen, wenn sie nachforscht?
Südafrika erscheint zudem wie eine andere Welt, in vielen unterschiedlichen Facetten. Und so facettenreich und auch faszinierend sind auch die Familienmitglieder die Emma trifft. Jeder von ihnen hat auf ganz eigene Weise versucht die Geschichte zu verarbeiten; einige sind auch daran gescheitert.