Tina Modotti und Mary S. Rosenberg

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Tina Modotti hat einen schweren Start ins Leben, aus bitterarmen Verhältnissen stammend muss sie schon als Kind in der Seidenspinnerei arbeiten, um die Familie zu ernähren. Der Vater ist nach Amerika ausgewandert, es will und will aber kein Geld kommen und auch keine Schiffspassagen, um die Familie nachzuholen. Tina sieht keine Zukunft in Europa, sie beschließt selber auszuwandern. Ihr Leben nimmt einen überraschenden Verlauf. Erst Bohemien, Geliebte von Künstlern und verarmten Adeligen, bekannte femme fatale, von allen begehrt, erfolgreiche Fotografin, dann immer mehr glühende Kommunistin, die von der Revolution träumt und sich für sie einsetzt. Sie ist in Mexiko, in Spanien, organisiert Spendenaktionen, baut Krankenhäuser auf, koordiniert Flüchtlingstrecks und gerät dabei selbst zwischen die Fronten und sieht ihren Idealismus immer mehr verraten.
Mary S. Rosenberg hingegen hat ganz andere Träume. Im beschaulichen, langweiligen Fürth als Tochter eines Buchhändlers aufgewachsen, träumt sie davon, Medizin zu studieren. Doch der Vater will nichts davon wissen. Zwei seiner Kinder studieren bereits und irgendwer muss doch die Buchhandlung übernehmen. Lange Zeit kämpft Marie dagegen an, doch sie liebt Bücher und bringt frischen Schwung in den Laden. Lange Zeit kann sie nicht glauben, dass die Nazis nicht nur ein vorübergehender Spuk sind, sie will es aussitzen. Auch weil ihre Mutter nicht aus Fürth weg will. Marie zögert, bis es nicht mehr geht. Ihr Ziel: Amerika. Der Neuanfang dort ist nicht einfach, sie möchte bei ihren Büchern bleiben und schließlich hat sie eine zündende Idee, deutsche Bücher für die vielen deutschen Geflüchteten und Auswanderer.
Beide Frauen haben wirklich gelebt, ihre Leben bilden das tragische, chaotische und gewalttätige beginnende 20. Jahrhundert ab. Aber es ist auch ein Jahrhundert der Utopien, der neuen Rechte für Arbeiter, ein Schritt in Richtung Gleichberechtigung der Frauen. Anhand der Leben von Tina Moretti und Mary S. Rosenberg erhalten wir Einblick in eine Zeit, von der wir zwar viel wissen, die aber hier von Felix Kucher noch einmal zum Leben erweckt wird. Eine spannende Zeit, aber auch eine tragische Zeit.
Dem Autor gelingt es hervorragend, die Leben dieser beiden so unterschiedlichen Frauen zu verbinden, es wird immer abwechselnd erzählt, man kann gut folgen, stilistisch verbindet er sie, indem er beim Übergang ähnliche Elemente verwendet, ein Läuten an der Tür zum Beispiel, eine Tasse Tee,… Im Roman lässt er die beiden ein paar Mal aufeinander treffen, ohne dass sie sich wirklich begegnen. Möglich wäre es gewesen!
Ich konnte den Roman nicht mehr aus der Hand legen, habe ihn verschlungen, bin fasziniert von diesen beiden starken Frauen und ihrer Zeit und habe viel dazu gelernt zum Thema Kommunismus, 30er Jahre, Buchwelt,…
Spannende Lektüre mit ganz viel Hintergrund bei dem Timing, Erzähweise, Inhalt und Rhythmus einfach passen. Sehr lesenswert!