Zu viel Effekt, zu wenig Tiefe

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alasca Avatar

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Dies ist eine Geschichte voller Gewalt - von Frauen, gegen Frauen und in Frauen. Es ist insbesondere die Geschichte von Florence "Florida" Baum und Diana Diosmary "Dios" Sandoval. Gleich am Anfang erfahren wir, wie das Drama enden wird – der Roman zeichnet den Weg dorthin. Die Story beginnt in einer Frauenstrafanstalt im heißen Arizona. Florida wurde verurteilt wegen "Beihilfe zum Mord nach der Tat". Mithäftling Dios glaubt, dass Floridas Rolle weit weniger passiv war als diese behauptet und will sie dazu bringen, ihr wahres, grausames Gesicht zu zeigen. Aus diesem Bestreben wird bald Besessenheit.

Aufgrund der Covid-Pandemie werden beide Frauen vorzeitig aus dem überfüllten Gefängnis entlassen. Dios folgt Florida gegen deren Willen – und als Florida ihre Bewährungsauflagen verletzt, tritt Dios eine Kette der Gewalt los, von der Florida mitgerissen wird.

Kommentiert wird die Story der beiden Kontrahentinnen von Kace, der psychotischen (oder hellsichtigen?) Ex-Zellengenossin von Florida. Sie hört die Stimmen der getöteten Opfer – die ihres eigenen Opfers, aber auch die der Opfer der anderen Insassinnen. Sie und diese Geister bilden eine Art griechischen Chor, der das Geschehen kommentiert. Auch dieser Kunstgriff gefiel mir gut.

Pochodas Thema ist die gesellschaftliche Annahme, dass Frauen nicht zu der gleichen Brutalität und Gewalt fähig sind wie Männer. Wann immer von gewalttätigen Frauen die Rede ist, werden ihre Taten verharmlost – „Lady Killers. Femmes Fatales. Schwarze Witwen. Thelma & Louise. Bitches mit Problemen.“ Auch in diesem Bereich also werden Frauen nicht ernst genommen. Der Roman erörtert die Frage, ob weibliche Gewalt das Resultat patriarchaler Bedingungen ist. Oder werden die äußeren Einflüsse überbewertet? Können Frauen einfach aus sich selbst heraus gewalttätig sein?

Die Darstellung des Gefängnisalltags, der Brutalität der Frauen untereinander, aber auch die der übergriffigen Wärter fand ich gelungen: ebenso die Schilderung des geisterhaft leeren Los Angeles während der Covid Pandemie und die allgemeine Ansteckungsparanoia. Ein besonderes Anliegen scheint Pochoda die Situation der Obdachlosen zu sein, bei denen Florida vorübergehend Zuflucht findet. Das Setting des Showdowns an einer leeren Straßenkreuzung um 12 Uhr mittags mit ihrem Müll aus Atemmasken und Drogenequipment zitiert einen Filmklassiker und schafft gleichzeitig eine apokalyptische Atmosphäre.

Allerdings war mir auf der Sprachebene zu viel Pathos, zu viel Wiederholung, zu viel stilistische Effekthascherei im Spiel. Zu viele explodierende Feuerwerkskörper, zu viele Helikopter, die wie Geier kreisen, zu viel wirbelnder Müll, zu viele zerschellende Flaschen und vernagelte Fenster. „Eine Welt, die sich verpisst hat.“ Das ging auf Kosten der Stringenz und erzeugte Längen.

Die Entwicklung der Figuren hat mich ebenso wenig überzeugt. Vor allem Dios´ Psychologie bleibt flach. Warum ist sie, wie sie ist? Ihr Hintergrund – Latina, Bildungsaufsteigerin – wird nur angerissen. Dios´ Obsession für Florida blieb mir bis zum Schluss unverständlich. Aber auch die Fehlentscheidungen der wohlstandsverwahrlosten Florida waren nicht glaubwürdig unterfüttert. Detective Lobos, deren Perspektive ab der Mitte der Romans hinzukommt, war für mich noch die gelungenste und interessanteste Figur; wir sind ihr bereits in „Diese Frauen“ begegnet. Sie ist permanent wütend auf sich selbst, denn sie hat zugelassen, ein Opfer häuslicher Gewalt zu werden. „Eine Gesetzeshüterin, die sich in ihrem eigenen Zuhause nicht selbst beschützen konnte.“ Und sie fragt sich beim Anblick der Toten in Dios´ Kielwasser, ob sie zu ähnlichem fähig wäre, sollte sie ihrem Exmann wieder begegnen.

Zum Schluss will Pochoda uns nahelegen, dass der psychologische Ansatz vielleicht gar nicht sinnvoll ist. „Wir suchen nach Gründen, damit wir nicht den Verstand verlieren. Wir brauchen die Gründe für uns selbst – um dem, was wir tun, einen Sinn zu verleihen. Aber es muss sie nicht unbedingt geben. Manche Leute sehen die Welt einfach gern brennen, andere wollen sie zum Brennen bringen.“

Manche Frauen sind gewalttätig, weil sie gewalttätig sind? Überzeugt hat mich das nicht.