Tragisch. Faszinierend. Grausam.

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lesefee23.05 Avatar

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„Es heißt ja, wenn man in New York bis dreißig nichts erreicht hat, erreicht man nie etwas.“

„So schöne Lügen“ ist ein Roman von Tara Isabella Burton und in sich abgeschlossen.

Louise ist 29 und lebt in New York. Sie wollte dorthin, ist aus der Enge ihres Heimatortes geflohen, wollte „jemand“ werden. Schriftstellerin. Doch irgendwann zwischen einem ihrer eher schlechtbezahlten Jobs, hat sie selbst den Wunsch danach verloren. Sie hat keine Energie zum Schreiben und lebt nur, um genug Geld zu verdienen, damit sie sich über Wasser halten kann. Über einen Nachhilfejob lernt sie die junge, reiche und hübsche Lavinia kennen und gerät sofort in deren Bann. Lavinia lebt das Leben der Reichen und Schönen, von dem Louise träumt und sie darf es mit leben – solange sie Lavinias Meinung zustimmt.



„So schöne Lügen“ ist ein Roman der den Leser in einen Bann zieht. Die 29-jährige Louise hat eigentlich ihre Träume verloren. Sie hat erkannt, wie die harte Wirklichlichkeit des Lebens aussieht. Sie kann damit umgehen. Irgendwie schafft sie es, hat sie es immer geschafft. Trotzdem sehnt sie sich innerlich nach mehr. Nach mehr Geld, nach mehr Freundschaft, mehr Liebe, Einzigartigkeit, Anerkennung und Beachtung, die innere Uhr tickt. Bald wird sie dreißig und hat damit das Alter erreicht, in dem man in New York verloren hat. Alles was Louise sich wünscht hat Lavinia. Sie ist jung, sie hat Geld wie Heu, sie ist überall beliebt, sie sieht gut aus und lebt ihr Leben so, wie sie es eben möchte. Dabei schafft sie es, die Menschen um sich herum von sich selbst zu überzeugen. Sie hat dieses gewisse Etwas. Eigentlich ist sie von „allem zu viel“, aber trotzdem wirkt sie anziehend, man will von ihr gemocht werden. Ebenso geht es auch Louise, um jeden Preis, möchte sie als Freundin an Lavinias großzügiger Seite bleiben. Zusammen tauchen sie ab in eine Welt der Reichen, eine Welt voll exklusiver Partys, Alkohol, Drogen. Doch eigentlich kann Louise sich dieses Leben nicht leisten. Zum Glück zahlt meistens Lavinia… Trotzdem ist Louise ständig pleite, sie beginnt ein Netz von Lügen zu spinnen, in dem sie sich mehr und mehr selbst verfängt und verliert. Belügt sie nur die anderen? Oder auch schon sich selbst? Wird es einen sanften Weg aus der Lügenfalle geben oder hat nur ein tragisches Ende die Kraft die Abwärtsspirale von Louise zu stoppen?

Durch den allwissenden Erzähler, der hier und da Andeutungen, Vorhersagen und Bewertungen über die Figuren und vor allem über Louises Handeln fallen lässt, weiß der Leser früh mehr, als die Romanfiguren. Trotzdem bleibt es spannend bis zum Schluss. Fesselnd und mit einer Prise schwarzem Humor, der besonders durch die bissigen Kommentare des Erzählers zum Vorschein tritt, beschreibt Tara Isabella Burton, wie Louises Einstieg in Lavinias Leben beginnt. Sie berichtet von zerstörerischer Freundschaft, von scheinbaren Notlügen und angeblich notwendigem Diebstahl. Ungewollt beginnt man sich zu fragen: Wo fängt Abhängigkeit an? Wo hört Freundschaft auf? Und welche Rolle spielt die Liebe im Wechselbad der Gefühle? Wer ist wirklich so naiv und lässt sich innerhalb weniger Stunden vollständig auf die Freundschaft mit einer völlig Fremden ein? Einer Fremden, die eigentlich nur selten private Dinge von sich preisgibt? Oder gibt es einen Plan, der hinter diesem scheinbaren Freundschaftswunsch steht? Berechnung? Kalkül? Sexuelle Anziehung?
Die Figuren sind großartig gezeichnet. Ein wenig überspitzt, aber so klar und einmalig. Lavinia, die ihren Charme versprüht, exzentrisch, laut auffällig. Eine junge Frau, bei der man nicht weiß, ob man sie beschützen muss oder sich von ihr beschützen lassen soll. Eine Frau, deren Motive bis zum Schluss nicht eindeutig sind.
Louise, die deutlich mehr verbirgt, als man glaubt. Die Geheimnisse hütet und einen Teil ihres Wesens vor allen, auch vor sich selbst, zu verbergen versucht. Sie wirkt so normal und unschuldig – ein Opfer der heutigen so schnellen und materiellen Gesellschaft. Aber ist sie das wirklich? Oder trügt auch hier der Schein?
Die Spannung war das ganze Buch über hoch, zunächst war gänzlich unklar, worauf die Handlung hinauslaufen würde. Der klassische Spannungsbogen wurde an der Hälfte des Buches erreicht, doch auch danach geschah noch so viel mehr. Jedes Ereignis für sich war schockierend oder mindestens überraschend. Auf eine Lüge folgt die nächste Lüge und der Leser fragt sich unweigerlich, wann das Kartenhaus denn endlich einstürzt. Und vor allem: Wie laut wird es einstürzen? Welchen Schaden wird es anrichten und bei wem? Oder könnte es sogar halten?
Zu der großartigen Geschichte kommt das wunderschöne Cover, es funkelt und glänzt und gibt eine Vorahnung auf die Welt des Glitzers und des schönen Scheins. Nicht alles was glänzt ist Gold, doch hier passt das Cover einfach hervorragend zum Inhalt. In doppelter Hinsicht! Der Inhalt ist großartig und doch geht es um den Schein, den man in der Gesellschaft der Reichen und Schönen aufrecht erhalten muss.

Mein Fazit: „So schöne Lügen“ ist ein großartiger Roman über toxische Freundschaften und Beziehungen. Er zeigt, wie sehr Menschen in den Bann anderer Menschen geraten können und wie sehr sie sich in ihr eigenes Verderben stürzen können. Dabei könnten sie sich aus der ungesunden Freundschaft herausziehen, doch der eigene Drang nach Bestätigung, nach Anerkennung und Liebe, hindert sie daran.

Mich hat die Geschichte berührt, beängstigt, schockiert und überrascht. Ich vergebe 5 von 5 Sternen für einen Roman, den ich nicht Recht in ein klassisches Buchgenre einordnen kann. Ich kann ihn auch nicht direkt einer Lesergruppe empfehlen, aber ich kann sagen: Wenn euch die Leseprobe anspricht, dann lest das Buch! Es wird sich lohnen, es wird euch fesseln und nicht mehr loslassen!