Anrührend

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Das Unheil kommt auf leisen Sohlen. Anfangs lesen sich die Erinnerungen des Erzählers noch eher heiter. Ja, sicher, der Vater ist ein „Lebemann“, wohl auch ein wenig verantwortungslos, sehr egozentrisch.
„Keiner, der´s hier oben hat“, und dazu tippt er sich an die Schläfe,“ muss schuften. Schuften müssen nur die Idioten.“
lautet eine seiner Lebensweisheiten, die er seiner Familie, vornehmlich seinem Sohn gegenüber gerne selbstgefällig preisgibt, meist mit dem Schlusssatz „So, und jetzt kommst du.“ Dabei ist er an der Meinung seines Sprösslings so wenig interessiert wie an der der Mutter. Er allein ist der Mittelpunkt seiner Welt.
Aber zu Beginn scheint sein Lebensmodell zu laufen. Zunächst Verkäufer in einem Autohaus, Gebrauchtwagenhändler, dann mit allerlei Waren jonglierend, jede davon der sichere zukünftige „Renner“, bietet er seiner Familie zunächst doch ein Leben in einigem Wohlstand. Einen gewissen Charme kann man ihm unmöglich absprechen. Und ganz am Ende, alles schon lange den Bach hinunter gegangen ist, wird die Mutter auf dem Sterbebett zu ihrem Sohn sagen:
„Immerhin war es nicht langweilig.“
Es sind diese anfänglich geschilderten Jahre, die dem Erzähler auch im Verlauf der Geschichte einigen Halt geben werden, die als einmal geschaffenes Bild von „Familie“ auch deren komplette Zerstörung noch lange Zeit überdauern wird. Einiges an Nostalgie wird da zu Beginn heraufbeschworen, Kaba und Seborin Haarwasser, Krieg der Sterne und Sony Walkman. Leser, die auch in dieser Zeit groß wurden, packt da ein gewisses heimeliges Gefühl.
Liebe scheint es in der Familie reichlich zu geben, zwischen den Eltern, aber auch zu den drei Kindern, ja selbst die Hunde sind Teil dieser unverbrüchlich erscheinenden Gemeinschaft. In der Erinnerung ist die Mutter für den Erzähler „die summende Frau“, der Vater der Beschützer und Held. Eine kleine Siebziger Jahre Idylle. Und doch braut sich da was zusammen. Man weiß es nicht nur aus dem Klappentext, sondern spürt es sehr deutlich, wenn auch auf den erwähnten leisen Sohlen, herannahen.
Der Erzähler schildert aber weiter aus seiner kindlich unbedarften Perspektive, die aber nie verniedlicht oder künstlich wirkt, sondern sehr authentisch.
„Mein Vater ist eine geologische Gegebenheit. Unhinterfragbar da, wie die Kordilleren oder die Pyrenäen.“
Gerade diese Unhinterfragbarkeit der Eltern, der unbeirrbare Glaube an sie und die Richtigkeit ihrer Entscheidungen, ist Kindern, zumindest bis zu einem gewissen Alter, zu eigen. Das schildert der Autor sehr eindrücklich und gerade das lässt beim Leser zunehmend Beklemmung aufkommen. Denn diesem wird die Lebenslüge dieser Familie weitaus früher bewusst als dem Erzähler.
Die reichlich windigen Geschäfte laufen irgendwann nicht mehr so gut, der Vater verspekuliert sich, häuft eine Menge Schulden an. Als er seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, wird das Haus gepfändet. Die Mutter springt als Tupperware Vertreterin für das Familieneinkommen ein. Dabei wird immer deutlicher, dass sie, genau wie der Vater in seiner Großmannssucht, gar nicht die nötige Reife besitzt, um Verantwortung für eine Familie zu tragen. Immer häufiger zieht sie sich mit dem Daumen im Mund auf Bett oder Sofa zurück. Der Vater sitzt vor dem Fernseher oder liest den „Spiegel“. Aber er ist nicht nur ein leichtfertiger Hochstapler, er entwickelt sich mehr und mehr zum Betrüger.
„Es steht jeden Tag ein Dummer auf“ ist sein Motto. Es gilt, ihn nur zu finden.
Irgendwann veruntreut er eine hohe Summe, von 300000 DM ist die Rede. Unbemerkt kann das nicht bleiben. Als die Polizei ihnen auf der Spur ist, packt die Familie ihre Siebensachen und flieht nach Frankreich, wo der Vater einst aufgewachsen ist. Ziel ist die Côte d´Azur. Man lebt dort auf großem Fuß, verprasst das ergaunerte Geld. Hier, in diesem vorübergehenden Paradies, setzt die Abwärtsspirale nach einer Weile mit Macht ein. Das Geld geht zur Neige, Interpol kommt auf die Spur. Letztendlich werden die letzten Besitztümer geopfert, damit ein portugiesischer Bauarbeiter die Familie in sein Heimatland schmuggelt.
Die Geschichte, vom Erzähler weiterhin lakonisch aus seiner kindlichen Perspektive, aber nicht ohne die Schärfe des Erwachsenenblicks darauf, geschildert, verliert nun jegliche Leichtigkeit, aber nicht ihren Humor. Auch wenn der Leser zunehmend beklommen die Lethargie der Eltern, die steigende Gewaltbereitschaft des Vaters, den schon fast Regression zu nennenden Zustand der Mutter, den Hunger und die Ungewissheit, die die Kinder plagen, verfolgt, sind doch immer noch viele Momente von Situationskomik anzutreffen. Das Lachen bleibt aber dabei im Hals stecken.
War man anfangs noch ein wenig irritiert, mit welcher Sorglosigkeit selbst das Baby im Auto zugequalmt wird (ja, es waren andere Zeiten), der Einjährige schließlich den ganzen Tag (und vielleicht auch die Nacht) mit Schwimmflügeln herumlaufen muss, damit die Eltern sich wegen des Pools nicht kümmern müssen, häufen sich nun die Tatbestände einer massiven Vernachlässigung, wird gar die kleine Tochter vom Vater zum Handtaschenraub angestiftet. Der Leser ist einfach nur erleichtert, als die ganze Sache schließlich ein Ende findet. War doch schließlich zwischenzeitlich auch mal von erweitertem Selbstmord die Rede.
Überraschend ist die Erzählhaltung dieses auf autobiografische Gegebenheiten beruhenden Buchs. Am Ende wird die Inhaftierung und das anschließende Verschwinden des Vaters erwähnt, die schwierige, von sozialen Problemen bestimmte Zeit für Mutter und Kinder zurück in Deutschland, die Distanzierung, die zwischen ihnen stattfand
„Wir Kinder fielen von ihr ab wie reife Früchte von einem Baum und kullerten den Abhang herunter, der das Leben ist.“
Und doch ist der Ton ein versöhnlicher, ja fast liebevoller. Es ist der Tod der Mutter, der dem Erzähler und vermutlich auch dem Autor die Möglichkeit gab, sich von dieser geraubten Kindheit frei zu schreiben.
Als die im Sterben liegende Mutter mühsam ein „ES. Tut. Mir. So. Leid.“ hervorbringt, kann der Erzähler sich mit einem „Alles gut“ verabschieden. Es ist eine Lüge. Das weiß der Leser, das weiß der Erzähler, wahrscheinlich auch die sterbende Mutter. Aber nun, nach ihrem Tod, kann er darüber erzählen, kann auch mit dem verschwundenen Vater „machen, was ich will.“
Das, was er gemacht hat, ist ergreifend, lustig, tieftraurig, durchrüttelnd, ein tolles Buch.