Wahre Autofiktion mit einem wunderbaren Sprachstil

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kindder80er Avatar

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Durch das Eingangszitat von Heimito von Doderer, aus "Ein Mord, den jeder begeht", das da lautet: "Ein jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln, wie er will.", war ich schon völlig gefangen! Normalerweise wird ja über die Kindheit gesagt, dass sie die schönste Zeit in unserem Leben ist, aber leider gilt das beileibe nicht für jeden, auch nicht in unseren Breitengraden.

Auch der Prolog, in dem das 4jährige Kind seine Mutter leblos auf dem Boden findet und bevor es weiß, wie ihm geschieht durch die Trommelschläge mit seinen kleinen Fäustchen diese wiederbelebt, ist berührend. Und bevor auch der Leser weiß, wie ihm geschieht, ist er schon vollends in der Geschichte drin!

Im weiteren Verlauf wird deutlich, dass sich die Eltern des kleinen Ich-Erzählers zu Höherem berufen fühlen. Besonders der Vater will nicht einfach so arbeiten bis er "tot umfällt". Es wird vertickt, getauscht und eingelagert, was nicht niet- und nagelfest ist. Als das Haus von den Banken gepfändet wird, zieht die Familie um und nicht viel später danach flüchtet sie sogar nach Südfrankreich, wo die Familie eine sehr, sehr gute Zeit verlebt - bis das Geld alle ist...

Wenn man den Schutzumschlag mit dem 80er Jahre Coverabzieht, findet sich auf dem Buch eine Tankstandsanzeige, deren Nadel auf "Null" steht, was ich schon sehr sinnbildlich finde. Die Familie hält zusammen, die Kinder, vor allem der Ich-Erzähler hinterfragen nicht groß, denn sie sind ja schließlich den Lebensumständen ausgeliefert. Die Gedankengänge sind immer nachvollziehbar und in der Tat oft lakonisch, denn man muss durchaus schmunzeln, wenn das Kind überlegt, welche Maßeinheit eigentlich dem Ausdruck "Ein Arsch voll Geld" zu Grunde liegt...

Trotz der humorvollen Ausdrucksweise, ist das Buch Zeugnis einer schweren Kindheit und die Geschichte ist wahr! Als Roman ausgelegt ist es eine Autofiktion, aber das Buch lebt vor allem von der einzigartigen Sprache des Autors! Es gibt keinen konkreten Spannungsbogen, alles wird chronologisch erzählt und Cliffhanger zwischen den Kapitel sind auch nicht vorhanden, aber die zum Teil wundervollen Vergleiche und die poetische Sprachgewalt, macht das Lesen wirklich zum Genuss!