Die Geschichte einer Frau in Colorado - sprach- und naturgewaltig erzählt

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Shelley Reads Debüt SO WEIT DER FLUSS UNS TRÄGT wurde schon oft mit dem GESANG DER FLUSSKREBSE von Delia Owens verglichen, das ich in sehr guter Erinnerung habe. Ich bin gespannt ob der Vergleich trägt.

Die 17jährige Victoria wächst in den 40er Jahren auf einer Pfirsichplantage in den Bergen Colorados auf. Dort beherrschen Angst vor Veränderungen und Ausgrenzung das dörfliche Zusammenleben. Nach einem schrecklichen Unfall, der die Familie zerstört hat, sieht Victoria sich als einzige Frau im Haus schon früh in die Rolle des Mädchens für alles und der Versorgerin gedrängt. Als sie sich – zwischen Gehorsam und Auflehnung – erstmals verliebt, ist es auch das erste Mal, dass sie sich gesehen fühlt und spürt, dass sie ihren eigenen Weg gehen muss.

Victoria gerät in eine Spirale tragischer Ereignisse und muss schwerwiegende einsame Entscheidungen treffen. Instinktiv findet sie ihren Weg, indem sie sich in die Natur zurückzieht und genau wie der Gunnison River, der das Leben dieses Landstrichs bestimmt, unbeirrt ihrem Fluss überlässt.

„Ich krümmte meine Zehen um die glitschigen Steine unter meinen Füßen und musste gegen die Strömung das Gleichgewicht halten, und dann schloss ich meine Augen und lauschte. Ich kann nicht genau sagen, was dieses klare Wasser mir mitteilte. Ich weiß nur, dass mir die reine Wahrheit sagte.“

Man spürt in jedem Satz, dass die Autorin in dieser Landschaft in Colorado tief verwurzelt und durchdrungen von einer großen Liebe für ihre Eigenheiten ist. Mit großer sprachlicher Kraft wird die Natur lebendig, der Saft der Pfirsiche tropft förmlich durch die Finger.

Die Geschichte wird einfühlsam aus der Perspektive von Victoria erzählt. Ihre Naturverbundenheit erinnert mich tatsächlich an „Der Gesang der Flusskrebse“. Doch hat mich Shelley Reads Geschichte nicht so tief berühren können. Dafür hätte ich weniger Adjektive und Pathos und mehr Kanten und Tiefen in den Charakteren gebraucht. So bleibt es mir ein schönes Leseerlebnis, das aber auch bald wieder verblassen wird.

Übersetzung von Wibke Kuhn.