„Ich werde weiterfließen wie ein Fluss.“

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„So weit der Fluss uns trägt“ ist das Debut der amerikanischen Schriftstellerin Shelley Read. Die Handlung beginnt in den späten 1940er Jahren in Colorado, eine Ich-Erzählerin führt durch das Geschehen (diese Erzählperspektive mag ich besonders gern); die Geschichte ist in fünf Teile gegliedert. Meines Erachtens handelt es sich hier um einen Coming – of – Age Roman; die wildromantischen Naturbeschreibungen in der Story unterstreichen dabei die Figurenentwicklung – wenn man sich ein bisschen mit Literaturgeschichte auskennt, wird man allerdings wissen, dass dieses Stilmittel nichts Neues ist - auch wenn „Der Gesang der Flusskrebse“ dafür gelobt wurde („So weit der Fluss uns trägt“ wird vom Verlag zu Werbezwecken mit Delia Owens‘ Bestseller verglichen).

Worum geht’s?
In der (mittlerweile verschwundenen) Kleinstadt Iola im US – Bundesstaat Colorado führt die siebzehnjährige Victoria (Nomen est Omen!) Nash das harte Leben einer Farmerin, nach dem Tod der Mutter muss das Mädchen früh Verantwortung übernehmen, als einzige Frau unter wortkargen Männern hat es Victoria (“Torie“) nicht leicht. Liebe und Zuneigung kennt sie nicht. Dies ändert sich, als sie dem indigenen Einwohner Wilson „Wil“ Moon begegnet. Er soll Victorias Schicksal entscheidend beeinflussen, ihr Leben wird von Verlusten und Veränderung geprägt sein. Am Ende des Romans hat die Protagonistin trotz Rückschlägen ihren Platz im Leben gefunden…
Als Leser/in sollte man etwas Geduld mitbringen - die Handlung des Romans erstreckt sich von 1948 bis 1971, Shelley Read lässt sich für den Entwurf der eigentlich interessanten Geschichte Zeit. Besonders gefesselt haben mich die wunderbaren Landschaftsbeschreibungen, sie illustrieren die tragischen & glücklichen Momente im Leben der Protagonistin. Stil und Sprache sind solide, über die deutsche Übersetzung bin ich stellenweise aber „gestolpert“, als versucht wurde, die verschiedenen (Bildungs- und) Sprachniveaus abzubilden, die Eigenheiten von verschiedenen Sprechern „Wörter so zu verstümmeln“ („Ka` ich nich sagen.“, S. 97). Daher möchte ich auch das englische Original lesen. Die Autorin arbeitet mit Tropen und sie bewegt sich stellenweise zu nahe am Klischee – ich war irritiert, als das Idealbild des „Edlen Wilden“ präsentiert wurde, ich bin kein Fan von romantisch verklärten Darstellungen und von „Indianerkitsch“, auch nicht in historischen (Liebes)Romanen.

Fazit:
„So weit der Fluss uns trägt“ lässt sich mit dem Satz ‚Eine Frau geht ihren Weg‘ zusammenfassen. Es ist ein Plädoyer gegen Rassismus und Engstirnigkeit (dabei aber keine ‚Hillbilly – Elegie‘), eine Aufforderung zu weiblicher Solidarität, ein Bildungsroman, in welchem die nordamerikanische Natur der heimliche Star ist. Die Erzählung ist unterhaltsam, insgesamt blieb Reads Debutroman aber leider hinter meinen Erwartungen zurück, daher vergebe ich dreieinhalb von insgesamt fünf möglichen Sternen für „So weit der Fluss uns trägt“.