Eine schöne Geschichte mit sprachlichen Schönheitsfehlern

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jori1020 Avatar

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Die Idee hinter Carsten Henns neuem Roman 'Sonnenuntergang Nr. 5' ist durchaus originell: Der 19-jährige Jonas nimmt seinen ersten Auftrag als Ghostwriter in einem kleinen Ort an der Küste an. Dort soll er das Leben einer exzentrischen und einstmals erfolgreichen Schauspielerin aufschreiben – zumindest behauptet Stella Dor Letzteres von sich selbst. Man muss kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass sich zwischen diesem ungleichen Gespann eine besondere Beziehung entwickelt. Beide, Jonas wie auch Stella, tragen Päckchen aus ihrer Vergangenheit mit sich herum, mit denen sie ganz unterschiedlich umgehen und Kern des Romans ist.

Haupt- und Nebenfiguren sind schön ausgestaltet und dadurch in ihren Gefühlen und Handlungen sehr nahbar, was die Geschichte ans Herz gehen lässt. Sie lebt aber vor allem von den Zwischentönen und kleinen Nebenhandlungen, etwa von der alten Frau Bentje, die zweimal täglich zur einzigen Bushaltestelle des Ortes geht, um der Stimme ihres verstorbenen Mannes ganz nah zu sein. Solche Szenen verleihen dem Roman Wärme und Tiefe.

Ich habe das Hörbuch gehört, gelesen von Oliver Siebeck. Eine gute Wahl, denn Siebeck trifft die verschiedenen Tonlagen der Geschichte und verleiht den Figuren durch seine stimmlichen Nuancen Charakter. Besonders in der direkten Rede wirken die Dialoge lebendig und authentisch.

Ja, es könnte ein richtig gutes Buch sein – wenn da nicht die Sprache wäre. Man hat manchmal das Gefühl, der Autor wolle in fast jedem zweiten Satz einen vermeintlich originellen Vergleich, eine pseudo-poetische Metapher oder einen schlauen Kalenderspruch unterbringen. Da heißt es dann etwa: „Erinnern ist ein wenig, als würde man es noch mal erleben“ oder „Das Wasser des Meeres war so salzig, als wären unzählige Tränen hineingeweint worden.“ Auch ein „Lebe den Tag, als wäre es der letzte“ durfte natürlich nicht fehlen. Manchmal ist weniger eben wirklich mehr, und das hätte diesem Buch gutgetan.

Letztlich bleibt das aber natürlich Geschmackssache – und trotz mancher sprachlicher Übertreibung ist Sonnenaufgang Nr. 5 eine warmherzige, stellenweise anrührende Geschichte, die in ihren besten Momenten tatsächlich berührt.