Wenn Licht nicht nur erhellt, sondern entlarvt

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lulia Avatar

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R. L. Ferguson gelingt mit dem zweiten Band der Spellcraft-Reihe ein faszinierender Balanceakt zwischen magischem Abenteuer, gesellschaftlicher Allegorie und emotionaler Charakterentwicklung. Die Macht der weißen Sonne ist nicht einfach eine Fortsetzung sondern Vertiefung, Erweiterung, Reifung und ein Aufbrechen der bisherigen Welt.
Die Protagonistin Lucy bleibt das emotionale Zentrum der Geschichte: mutig, zweifelnd und intuitiv. Ihre Beziehung zu Renley, Amelie und Carter wird nicht nur vertieft sondern auf die Probe gestellt. Besonders Renley glänzt als ambivalenter Charakter: selbstbewusst, loyal aber auch verletzlich. Die Dynamik zwischen den Freunden ist nicht nur herzerwärmend sondern auch glaubwürdig: sie streiten, sie zweifeln und sie wachsen. Die Beziehungen zwischen den Freunden sind nicht mehr nur warmherzig sondern auch brüchig, ehrlich und manchmal schmerzhaft. Ferguson zeigt wie Vertrauen sich verändert wenn die Welt sich verdunkelt. Besonders berührend sind die Szenen in denen Lucy sich fragt, ob sie ihre Freunde noch kennt oder ob die Magie sie alle verändert hat. Ferguson zeig, wie Nähe sich wandelt, wenn die Welt sich verschiebt.
Patches, Lucys magisches Kuscheltier, ist wieder mit dabei: ein verspieltes, aber auch kluges Element, das die Geschichte mit Humor und Wärme durchzieht. Er bleibt ein Lichtblick: nicht nur als comic relief sondern als Symbol für das, was bleibt wenn alles andere sich wandelt. Er ist ein Symbol für das Kindliche, das bleibt selbst wenn die Welt erwachsen wird.
Die „weiße Sonne“ ist mehr als nur ein Titel. Sie steht für eine neue Form der Magie und für eine Energie, die nicht nur Licht bringt sondern auch Wahrheit. Sie ist nicht nur ein Artefakt sondern ein Konzept. Sie steht für Klarheit aber auch für Entblößung. Wer unter ihr steht, kann sich nicht mehr verstecken. Ferguson nutzt dieses Bild, um Fragen nach Macht, Kontrolle und Gerechtigkeit zu stellen. Die Sept, eine nicht-magische Elite, wirken wie eine moderne Allegorie für Systeme, die Magie (oder Wissen/Ressourcen) monopolisieren. Der Aether, die magische Substanz, wird zum umkämpften Gut. Ferguson verwebt hier geschickt politische Themen wie Ungleichheit, Kontrolle und Widerstand in eine fantastische Kulisse. Die Welt wird komplexer, dunkler aber auch ehrlicher.
Die magischen Gegenstände wie z.B. Umhänge, die unsichtbar machen, Medaillons, die Geschichten erzählen und Schwerter, die Welten zerteilen sind nicht nur Spielereien sondern Ausdruck einer Kultur, die sich gegen das Vergessen wehrt.
Fergusons Sprache ist gereift. Der Schreibstil ist zugänglich aber nie oberflächlich. Die Sprache ist bildhaft, vielschichtig, die Kapitel rhythmisch und die Dialoge pointiert. Besonders gelungen ist die Balance zwischen Spannung und Poesie: jede Szene trägt eine kleine Magie in sich, sei es durch ein flackerndes Licht, ein flüsterndes Artefakt oder einen Blick, der mehr sagt als Worte. Die Kapitel tragen eine neue rhythmische Spannung, die nicht nur durch Action entsteht, sondern durch innere Konflikte.
"Spellcraft – Die Macht der weißen Sonne" ist ein starker zweiter Band, der nicht nur die Welt erweitert sondern auch ihre Risse zeigt. Es ist ein Buch über Freundschaft, Vertrauen und die Frage, wem die Magie gehört. Das Buch ist zwar für Leser ab 10, es besitzt aber mit genug Tiefe, um auch Erwachsene zu verzaubern.