Ein Seminar zur Speziesismus und Tierethik in Romanform

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kultaa Avatar

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Beim Lesen von Boyles Roman wird man mitten in die Anwendung all dessen geworfen, was man wohl in einem Tierethik-Seminar lernen und diskutieren würde. Ist die Grenzziehung zwischen Menschen und Primaten gerechtfertigt? (Stichwort Speziesismus)
Begehen wir einen Fehler, wenn wir in das Verhalten von Tieren menschliche Bedürfnisse und Motive hineininterpretieren? (Stichwort Anthropomorphismus) Welche Regeln sollten gelten, wenn Tiere der Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sind?
Haben Tiere Rechte?

Mit all diesem konfrontiert Boyle seine Leser*innen und das nicht, indem er diese Frage direkt anspricht und diskutiert, sondern indem er eine Geschichte erzählt, das Verhältnis zwischen Sam, dem Schimpansen, und den Menschen, mit denen sein Leben verbunden ist, denen er ausgeliefert ist, schildert und sich entwickeln lässt.

Sam wächst unter Menschen auf, wird im Rahmen eines Forschungsprojekt aufgezogen wie ein menschliches Kind, lernt sogar Gebärdensprache. Er identifiziert sich als einer von ihnen. Das Forscherteam, bestehend vor allem aus einem Professor, der, wo immer es geht, um Aufmerksamkeit und Anerkennung buhlt, und seiner studentischen Hilfskraft Aimee, manchmal entnervend scheu und biegsam, die aber auf intuitive Weise eine Verbindung zu Sam aufbaut. Der eigentliche Kampf für alle beginnt, als Sam aus dieser Gruppe herausgerissen, die Forschung eingestellt wird und er zu seinem Besitzer zurückkommt, eingesperrt in einen Käfig, eben auf einmal wieder behandelt und gehalten wie ein Tier.

Es ist der Umgang mit dieser neuen Situation, die Reaktionen aller Protagonist*innen, Sam, Aimee, der Professor, der Affenbesitzer, auf diese neue Situation, die das zentrale Element von Boyles Erzählung darstellt. Hier zeigt sich, wie menschlich Sam ist und wie triebgeleitet, animalisch, irrational wiederum die menschlichen Protagonist*innen sind. Hier treffen die Vorstellungen von Sam als bewusstem Wesen und Sam als Eigentum, als Objekt ohne Rechte aufeinander.

Als strahlender Held, als moralisch Überlegende*r geht hier sicherlich niemand vom Platz - vielmehr liefert jede*r Protagonist*in eine andere Motivation, eine andere Art von oft naiver, einseitiger, unreflektierter Haltung. Einzeln ist diese oft schwer zu ertragen, da Boyle in der Erzählperspektive jedoch zwischen ihnen wechselt, erwächst daraus eine pluralistische Betrachtung der eingangs aufgezeigten Fragen, die einen nachhaltig beschäftigen, eben weil das Buch selbst keine verlässliche Antwort auf diese bietet.

Wer sich also durch die teils etwas in die Länge gezogene Exposition des Forschungsprojekts rund um Sam kämpft, wird im zweiten und dritten Teil durch eine vielschichtige und diverse Betrachtung der sich am Projekt entwickelnden Probleme belohnt, die die Lektüre wirklich lohnenswert macht!