Homo Sapiens Sapiens?

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„Da hieß es immer, Tiere hätten keine Gefühle, aber das war lächerlich: Ein Blick auf Sam reichte, um das zu widerlegen.“

Sam, der Schimpanse, den Guy Schemerhorn – seines Zeichens Professor für Primatologie – in eine TV-Show bringt, kann sich durch Gebärdensprache nicht nur einen Cheeseburger und Cola bestellen, sondern auch seinen eigenen Namen sagen. Seit er als Baby seiner Mutter entrissen worden ist, lebt er als Forschungsobjekt auf einer umgebauten Ranch und wächst als „Kind“ umsorgt von den Wissenschaftler*innen der Universität auf. Zwischen Panzerglas und verstärkten Türen, besteht der Alltag dort vornehmlich aus Kuscheln und Saubermachen – die Versorgung eines jungen Schimpansen gleicht der eines Kleinkindes mit der Kraft von Halbwüchsigen und den Stimmbändern von Sirenen.

Fasziniert von Sams Fernsehauftritt wird Aimee studentische Aushilfskraft und schnell seine wichtigste Bezugsperson. Zwischen den beiden entspinnt sich eine einzigartige Beziehung und die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschwimmen immer mehr. Als jedoch die Vision Schemerhorns, der an das Menschliche im Tier glaubt, von der Öffentlichkeit zerschlagen wird und seine Fördergelder versiegen, kommt Sam für biomedizinische Tierexperimente in einen Käfig.

„Sprich mit mir“ ist ein multiperspektivischer Roman, in dem Autor T.C. Boyle mit vielen Fakten und nur wenigen Protagonist*innen eine Geschichte zum Nachdenken strickt: Was unterscheidet Mensch und Tier wirklich? Was macht einen Menschen zu dem, was er ist – Geist, Seele, die Fähigkeit zur Sprache? Und was darf eigentlich Forschung?

Zwischen Menschlichkeit und Unmenschlichkeit changiert Boyle geradezu meisterhaft seine Charaktere, webt Fragen der Tierethik und des Utilitarismus mit ein und überlässt das Urteil doch den Lesenden selbst. Eine spannende Reise in die Geschehnisse der 1960er Jahre – nicht zuletzt auch durch Sams persönliche Perspektive. Mein erster Boyle, aber sicher nicht mein letzter – klare Leseempfehlung!