So niedlich?

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mrs rabes book account Avatar

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Sam ist ungefähr zwei Jahre alt, als er mit seinem Betreuer Professor Guy Schemerhorn einen Auftritt der TV-Show „Sag die Wahrheit“ hat. Er erobert die Herzen der Zuseher, vor allem das von der jungen Studentin Aimee, die sich daraufhin bei Professor Schmerhorn bewirbt um bei der Studie rund um Sam mitzuwirken.
Was ist denn das Besondere an Sam, der in Gebärdensprache kommuniziert und in seinem kleinen Anzug und dem tollpatschigen Gang so niedlich daherkommt? Sam ist ein Schimpanse.
Der amerikanische Autor T. C. Boyle ist ein renommierter Schriftsteller, der sich immer wieder ganz speziellen Themen widmet, sich auf reale Ereignisse und daraus Stoff für seine Romane bezieht. Auch hier hat sich Boyle mit den historischen Studien um Bewusstsein und Spracherwerb bei Schimpansen auseinandergesetzt. Viel und gerne habe ich Boyle bisher gelesen, doch mit „Sprich mit mir“ hatte ich so meine Probleme.
Da ist einerseits die Geschichte seiner menschlichen Protagonisten, Aimee und Guy, die mit den sonst so skurrilen Personen aus dem Boyleschen Universum nichts gemein haben. Im Gegenteil fand ich sie farb- und lieblos hingeklatscht, schablonenhaft. Ein Professor und seine Studentin, da kann es offensichtlich nicht ohne Affäre abgehen. Klassisch wird die Rollenverteilung, wenn es ums „Sorgerecht“ geht, auch wenn das schutzbefohlene Wesen hier kein Kind ist, sondern ein Affe. Das mag auch der Zeit geschuldet sein, in der der dieser Roman angesiedelt ist, irgendwo Ende der 1970er Jahre. (Dass Boyle den Zeitanker anhand von Neuerscheinungen am Musikmarkt setzt, das wiederum fand ich sehr gut gemacht) Ein bisschen mehr Originalität hätte ich mich für das humane Personal trotzdem gewünscht.
Ja, und dann ist da Sam, der Schimpanse, um den alles geht. Ein Forschungsobjekt. Bemitleidenswert, denn nach dem Ausbleiben der Fördergelder, bleibt dem Tier nach der Studie nur mehr ein Käfig im Tierversuchslabor.
„Die Art, wie er reagierte, hatte etwas so Rührendes, dass man ihn am liebsten umarmt hätte. Wie süß, sagte sie. Sowas von süß!“
Boyle gibt Sam eine Erzählstimme. Und das funktioniert. Sam ist liebenswert. Sam ist schützenswert. Das Tier wird vermenschlicht. Hier gerät Boyle aber in meinen Augen genau in das Fahrwasser derer, die ihre Haustiere über alles stellen und beim Schnitzelfleisch die Bioqualität loben. „Es hatte doch so ein gutes Leben“
„Ein Affentheater veranstalten? So nennt man das in der Verhaltensforschung: ein Affentheater veranstalten.“
Die Gameshow zu Beginn des Buches hieß „Sag die Wahrheit“. Zum Schluss lernt Sam sogar zu lügen. Können Forscher, kann Boyle, können wir wissen, wie ein Tier, was ein Tier wirklich denkt. Wenn Boyle Sam „sprechen“ lässt, ist es doch auch nur das, was der Mensch meint und interpretiert. Im Übrigen glaube ich, dass jedes Tier in irgendeiner Form kommuniziert, vielleicht nicht immer mit uns.
Guy Schmerhorn ging es nie um den Affen, sondern um das Projekt. Bei Boyle bin ich mir nicht sicher.