Durch Nazigewalt beschädigte Familiengeschichte

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violettera Avatar

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„Ich stamme von den Mördern meiner Vorfahren ab. Ich denke den Begriff der Abstammung deshalb immer mit einem gewissen Sicherheitsabstand.“
Spuren suchen und verfolgen, in der Spur bleiben, also spuren, aus der Spur geraten, auf Abwege geraten. Was ist ein Abweg? Dem Abwegigen auf der Spur sein, Abwegiges suchen und verfolgen, einen Hang zum Absurden haben. Ist Erinnerung möglich an Geschehnisse, die man nicht selbst erlebt hat? Um all dies geht es bei der Suche des Autors nach seiner durch Nazigewalt beschädigten Familiengeschichte. Es ist eine Spurensuche, die immer wieder auf Abwege führt, diese Suche nach dem Leben des eigenen Vaters, die auch eine Suche nach verstörenden Erinnerungen und Verhaltensweisen des Sohnes darstellt. Wie intensiv die Erfahrungen seines viel älteren Vaters, der noch die Weimarer Republik und als „Halbjude“ das Dritte Reich erlebt hatte, den Sohn, der von alldem ja nichts miterlebt hatte, noch in der Gegenwart prägen, wird dem Autor bei der Recherche erst recht bewusst. Seinen Hang zum Absurden und Abwegigen, ja seine stete Suche danach, erklärt er sich so.
Auch der Geschichte des jüdischen Großvaters spürt er nach. Beide, Vater und Großvater, hatten den Naziterror überlebt, beide waren gezeichnet davon. Andere wurden vernichtet, wie seine damals schon achtzigjährige Uroma Berta. Mit einem Brief an sie endet das Buch, finden Nachspüren und Abwege für den Autor ein vorläufiges, fast versöhnliches Ende. Aber: “Die Gräber schweigen noch immer in die aus der Zeit gefallene Vergessenheit, die deutschem Alltag schon immer etwas Schleierhaftes verlieh.“
Kurt Tallert macht es sich und seinen Lesern nicht leicht. Seine Spurensuche ist verstörend, trägt aber zur Erhellung dunkler Kapitel der deutschen Geschichte, auch der Nachkriegsgeschichte, bei. Das Buch ist so gesehen ein wichtiger Beitrag gegen das Vergessen.