Schwieriger Text, wichtiges Thema

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elfe1110 Avatar

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Harry Tallert ist bei der Geburt seines Sohnes Kurt 58 Jahre alt. Als junger Mann und „Mischling 1. Grades“ wurde er von den Nazis verfolgt und ins Arbeitslager nach Lenne deportiert. Nach dem Krieg war er als Journalist, später dann für die SPD als Mitglied des Bundestags tätig. Zeit seines Lebens haderte er mit den Absurditäten, den Abwegen seiner Biographie. Als Überlebender, als Halbjude, dessen jüdische Familie den Nazis zum Opfer fiel. Als Opfer im Land der Täter, als Mitglied im Bundestag, der die Nazivergangenheit lieber Vergangenheit lassen wollte.

Der Sohn Kurt Tallert hat nur wenig Erinnerungen an den Vater. Und begibt sich nun, anhand von Briefen, Aufzeichnungen, Unterlagen, Recherchen, Besuchen in Gedenkstätten, auf Spurensuche zur inneren Zerrissenheit des Vaters, die diesem alles abverlangt hat. „… Nach innen weinen, nach innen schreien, kotzen…“. Anhand dieser Erinnerungen schreibt der Sohn über den Vater, über die „Absurdität der Nazis“, über die der Vater schreiben wollte, über Fragen der Identität und Zugehörigkeit, über das Menschsein, über Wiedergutmachung ohne dass es wieder gut wird, über die These der Kollektivschuld, über die (Ur)Großeltern.

Viele der von Tallert angesprochenen Themen sind unglaublich wichtig in der Aufbereitung der Nazi-Vergangenheit, für die Opfer wie für die Täter und für all ihre Hinterbliebenen. Und sie sind eine immerwährende Mahnung an uns alle. Heute mehr denn je.

So weit, so gut. Was mich dann jedoch gestört hat ist die pseudointellektuelle, philosophische Lesart in weiten Teilen des Buches, bei denen ich mich mehrfach fragen musste, was mir der Autor hier mitteilen möchte. Das mag Tallert bewusst so gewählt haben, hat mich aber ganze Passagen nur überfliegen lassen.
Schwierig fand ich ferner die in meiner Wahrnehmung nicht immer saubere Abgrenzung von Begrifflichkeiten wie Rassismus und Antisemitismus, insbesondere wenn es um die Ausführungen zu den Rassenideologien der Nazis ging. Auch kann ich beispielsweise den Ausführungen zum schwarzen Rassismus in den USA in Abgrenzung zur Judenverfolgung und systematischen und gezielten Vernichtung aller Juden in Europa nicht folgen.

Als Gesamtfazit war mir in diesem Buch zu viel persönliche Meinung des Autors und zu wenig faktenbasiertes Wissen aus der Zeit, das man an gezielter hätte einbauen können.