"Southern Gothic" mit sehr viel Herz und Seele

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Starling House ist der Inbegriff von einem guten, irgendwie heimelig wirkenden Herbstbuch: zum Teil recht düster, eine eigenartige, mystische Grundstimmung und ganz viel Nebel. Es ist nicht sonderlich gruslig, man verspürt als Leser aber durch den mystischen Effekt und das Verhalten der Personen, dass irgendetwas nicht ganz mit rechten Dingen zugeht. Für mich war es ein absolutes Stimmungsbuch – nicht wirklich Fantasy, aber auch nicht wirklich keine Fantasy. Mit anderen Worten: Southern Gothic (Fantasy).

Ich fand das erste Aufeinandertreffen der Protagonisten Opal und Arthur sehr eindrucksvoll beschrieben. Die beiden sind so unterschiedlich und passen doch so gut zusammen – nicht einmal unbedingt als Paar (die Liebesgeschichte ist auch eher ein kleiner Neben-Erzählstrang), sondern als Fremde, die sie langsam kennen und mögen lernen. V. a. da beide Charaktere mit vielen Eigenarten sind, macht es umso interessanter, ihnen dabei zuzusehen, wie sie einander näherkommen.
Auch die Nebencharaktere wurden unfassbar gut getroffen: Jasper, Opals Bruder, der sich häufig übergangen fühlt und denkt, er müsste sich aufgrund äußerer Umstände in eine Form pressen lassen, gleichzeitig aber viel mehr mitbekommt als alle denken; die griesgrämige Bev mit harter Schale, aber weichem Kern etc.
Die Antagonisten der Geschichte darf man natürlich auch nicht vergessen; und es gab viele... Dieses Buch hatte eine bestimmte Szene, in der ich so unfassbar wütend wurde, dass ich es erst einmal zur Seite legen und mich beruhigen musste, sonst hätte ich es vermutlich an die nächste Wand geworfen – und so zur Weißglut treiben mich die „Bösewichte“ sonst nur selten. Sagen wir einfach, dass ich einen enormen Hass auf eine gewisse Elisabeth Baine habe und den Namen Gravely nicht mehr hören kann. Lustig, dass diese Personen eigentlich gar nicht die Haupt-Kontrahenten waren... das zeigt mal wieder, dass Menschen immer noch die größten Monster sein können.

Der Schreibstil hat mir in diesem Buch richtig gut gefallen und war an der ein oder anderen Stelle richtiggehend poetisch. Auch die Fußnoten, die ich in Romanen eigentlich nicht gerne sehe, weil sie mich aus dem Lesefluss reißen, waren hier nicht zu dicht gesät, daher unaufdringlich und tatsächlich informativ und teilweise auch ironisch lustig. Insgesamt hat die Autorin im Buch hin und wieder Formatierungen gespielt, die ich sehr kreativ fand.

Mein Highlight war, wie gut diese kurze Geschichte sehr viele Themen auf vergleichsweise wenigen Seiten umsetzen konnte: „Arm gegen Reich“, Verpflichtungen, Aufopferung, Rache, Schmerz, Trauer, Liebe, Schuld, Hilflosigkeit, Familie, Hoffnung. Dieses Buch hat die gesamte Bandbreite an Gefühlen parat.

Fazit: Ein wunderbares Buch mit ganz viel Herz und Seele, aber durchaus düsteren Themen zum Ende hin. Es hat etwas gedauert, bis ich fertig war, aber das Buch war etwas ganz Besonderes. Man sollte einigermaßen blind in die Geschichte starten und sie sich entfalten lassen. Es war interessant, die kleinen Puzzleteile langsam an ihren Platz rutschen zu sehen und das Gesamtbild Schritt für Schritt zusammenzusetzen.
5*