Spannend mit kleinen Makeln

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"Sterbegeld" von Judith Winter ist der dritte Kriminalroman rund um die Ermittlerinnen Emilia Capelli und Mai Zhou. Im Wesentlichen werden zwei Handlungsstränge aufgezogen, die - leider - nicht miteinander in kausalem Zusammenhang stehen. Einer der Handlungsstränge ist der auf dem Klappentext beschriebe Fall um die Ermordung einer Familie. Der mutmaßliche Mörder ist bereits gefunden, doch das Motiv fehlt. Auf der Suche nach der Wahrheit gelangen die Ermittlerinnen schließlich zu einem überraschenden Ergebnis. Überraschend ist in diesem Fall wörtlich zu verstehen, denn der Fall ist bis kurz vor Schluss nicht durchschaubar und lässt den Leser grübelnd mitdenken. So funktionierten gute Krimis. Der zweite Handlungsstrang behandelt ein internes Problem, denn in einem Spezialistenteam scheint es einen Maulwurf zu geben. Die undichte Stelle hat jüngst zu einem toten Polizisten geführt. Capelli und Zhou sollen wider Willen ihre Kollegen aushorchen und herausfinden, wer der Maulwurf ist.

Neben diesen beiden Handlungsverläufen erfährt man zusätzlich viel über die beiden Protagonistinnen. Sie sind sympathisch, wenn auch grundverschieden. Hier ergibt sich jedoch auch das erste "Problem": Wenn man (wie ich) die ersten beiden Bücher nicht gelesen hat, hat man erst einmal Schwierigkeiten, dem Konflikt zu folgen, der vermeintlich zwischen Capelli und Zhou herrscht. Außerdem werden vor allem in der Anfangsphase viele Namen eingeführt, die man wahrscheinlich aus den vorherigen Büchern schon kennt. Es ist nicht unmöglich in den Roman hereinzufinden, es dauert noch ein wenig länger. Wenn man jedoch das grobe Beziehungsgeflecht erst einmal durchschaut hat, macht das Lesen deutlich mehr Spaß.

Nach Überwindung dieser Hürden konnte ich mich auch tatsächlich nicht mehr losreißen - und das meine ich genau so. Als Nicht-Krimileserin (ich meide diese Genre üblicherweise) war ich sehr positiv angetan vom Schreibstil und der Handlung in Judith Winters Roman. So sehr, dass ich sogar mit dem Gedanken spiele, die anderen Bücher ebenfalls zu lesen. Die Ermittlerinnen sind sympathisch, es ist sehr gut geschrieben und ich mag das Setting rund um Frankfurt, da dies meine ursprüngliche Heimat ist. Es hat etwas von "nach Hause kommen". Ein vergleichbarer Rahmen, wie es ihn zum Beispiel bei Nele Neuhaus gibt, konnte mich weit weniger überzeugen. Da greife ich in Zukunft doch lieber auf Frau Winter zurück.

Trotz aller Euphorie bleibt ein kleiner bitterer Beigeschmack, der mich eigentlich 1,5 Punkte abziehen lässt. Die beiden Handlungsstränge sind wie bereits gesagt nicht inhaltlich verwoben und letztlich gewinnt der Fall um den internen Maulwurf auch deutlich an Übergewicht. Der eigentliche Fall der ermordeten Familie rückt mehr und mehr in den Hintergrund. Einerseits passt dies, da auch Capelli und Zhou diesen Fall nur aus Alibi-Zwecken übernehmen. Doch andererseits ist dies der "angekündigte" Fall auf dem Klappentext und wirklich interessant. Besonders bitter ist dann, dass der Maulwurf-Fall spektakulär aufgelöst wird, während wir das Ende des Familienmord-Falls nicht wirklich erfahren. Wir bekommen zwar durch Zhou erklärt, was das Motiv ist und wie die Zusammenhänge sind - doch das nur in Form einer Theorie, die sie dem Staatsanwalt präsentiert. Es wird danach nichts weiter darüber gesagt, ob der Mörder verurteilt wurde, ob genügend Beweise gesammelt wurden. Stattdessen bildet das Ende ein zwar witziges, aber in diesem Fall unbefriedigendes, Geplänkel über zwischenmenschliche Beziehungen. Das gibt der Freude am Lesen doch einen gewissen Dämpfer.

Dennoch wird dies sicherlich nicht der letzte Kriminalroman gewesen sein, den ich von Frau Winter lesen werde. Und das ist, wie ich finde, bemerkenswert. Denn wie gesagt: Ich bin eigentlich so überhaupt keine Leserin von Krimis.