Die ganze Wahrheit

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buecherfan.wit Avatar

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Emma Green ist Dozentin für englische Literatur am renommierten Holford College in Jackson. Das akademische Jahr ist fast zu Ende. Eines Nachts, als sich Emma mit ihrer fünfjährigen Tochter Maggie allein in ihrem etwas abgelegenen Haus befindet, hört sie Stimmen im Garten. Es handelt sich um drei Studenten, die Emma aus ihren Kursen kennt: Kyle Caldwell, Jacob Stewart und ein Mädchen, an dessen Namen sie sich nicht erinnert. Der arrogante Kyle Caldwell stammt aus einer reichen Familie und ist ihr auch deshalb unsympathisch, weil sie ihn für einen Dieb hält, ohne es beweisen zu können. Den charmanten Jacob hat sie bis zu diesem Abend gemocht, erkennt aber, dass er in Wirklichkeit ein opportunistischer Blender ist, der von dem Reichtum der Caldwells profitiert. Die jungen Leute verschaffen sich Zugang zu ihrem Haus, und die Dinge eskalieren schnell. Es kommt zu einer Bluttat. Maggie sieht alles mit an und flieht durch ein Fenster in den angrenzenden Wald.

Neun Jahre später befindet sich die jetzt 15jährige Maggie erneut in Therapie, weil ihre quälenden Albträume zurückgekehrt sind, vermutlicht ausgelöst durch ihre Mathematiklehrerin an der Highschool. In ihrer Gegenwart fühlt sich Maggie unwohl, und ihre Lehrerin verhält sich ihr gegenüber seltsam. Die Wahrheit über die Nacht vor neun Jahren muss jetzt endlich ans Licht kommen. Maggie hat damals beharrlich geschwiegen, gegenüber der Polizei, aber auch gegenüber ihrem Vater und dem Therapeuten.

Laura Brodie zeigt in ihrem spannenden Roman, wie in einem einzigen Augenblick ein Menschenleben ausgelöscht, eine Familie zerstört und ein Kind schwer traumatisiert wird. Nichts wird jemals wieder so sein wie zuvor. Die Überlebenden müssen mit ihrer Schuld leben und sich fortan fragen, wie sie ihr Fehlverhalten sühnen können. Die Buße für die Person, die den Hauptteil der Schuld trägt, wird sein, die Wahrheit ans Licht zu bringen und zu verbreiten. Sie wird ihre Geschichte wieder und wieder erzählen müssen wie der alte Seemann in einem der berühmtesten Gedichte der englischen Literatur - “The rime of the ancient mariner” von Samuel Taylor Coleridge -, auf das am Ende Bezug genommen wird. Erzählt wird aus wechselnder Perspektive auf zwei Zeitebenen - damals und neun Jahre später. Was haben die Überlebenden getan und gesehen, und wie gestaltet sich ihr weiteres Leben? Die Autorin hält viele überraschende Wendungen für den Leser bereit, der auch erst zum Schluss erfährt, was in jener Nacht wirklich passiert ist und wer die Hauptschuld an der Katastrophe trägt. "Stimmen in der Nacht" ist kein Thriller, aber der Roman überzeugt durch einen raffinierten Plot und sorgfältige Charakterzeichnung. Ich empfehle ihn, weil er von subtiler Spannung lebt und nicht von vordergründiger Action.