Enttäuschend

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Benjamin Myers hat vor einigen Jahren mit seinem Roman „Offene See“ einige Türen bei mir eingerannt, waren doch die Sprache und das Setting eine wahre Wonne, die (nicht nur) mich zu allgemeinen Begeisterungsströmen hinreißen ließ.

Nun, um es vorweg zu nehmen: die Zeiten sind (leider) – zumindest für mich - vorbei. Eigentlich hatte ich mich nach der Leseprobe von „Strandgut“ auf das neue Werk von Benjamin Myers (im Juni 2025 in der Übersetzung von Werner Löcher-Lawrence im DuMont Verlag erschienen) gefreut, versprach die Geschichte doch tragikomisch zu werden. Doch leider…

Earlon „Bucky“ Bronco ist ein Wrack: nicht nur seelisch, sondern auch körperlich. Ersteres wird während der knapp 300 Seiten meist in Rückblenden erzählt; das körperliche erleben die Leser:innen hautnah mit. Während eines Fluges von Amerika nach England, wo Bucky bei einem Soulfestival in Scarborough seine in seiner Heimat längst vergessenen, doch in England umso frenetischer seit Jahrzehnten abgefeierten Hits singen soll, vergisst er seine Tabletten gegen seine Arthrose, was bei ihm einen kalten Entzug auslöst. Hier sind wir schon bei einem großen Problem des Romans: die Entzugserscheinungen nehmen viel, sehr viel Raum ein – irgendwann hat es mich nur noch gelangweilt. Ja, es kommt zu der ein oder anderen „witzigen“ Szene, die mit dem Entzug und den „Ersatzdrogen“ zu tun haben und auch der ein oder andere kritische Gedanke (insbesondere zur Gesundheitsversorgung in den USA) schleicht sich ein, aber insgesamt gesehen war mir das zu wenig, um mich bei Laune halten zu können.

Auch die Geschichte von Dinah, Buckys Betreuerin vor/ während/ nach dem Festival ist von Tragik geprägt, hat man aber auch schon zigfach in anderen Romanen gelesen. Natürlich machen Bucky und Dinah im Laufe des Romans eine (vorhersehbare) Entwicklung durch und die Passagen über das Wesen bzw. den Kern der Soul-Musik konnten mich als Musikfreak begeistern und werden auch noch Einzug in mein persönliches „Tolle Zitate aus meinen gelesenen Büchern“-Notizbuch finden. Das alles reicht aber nicht, dass sich die Geschichte nachhaltig in meinem Gedächtnis einprägt.

Zumal mich noch etwas tierisch genervt hat. Der inflationäre Gebrauch Buckys, Frauen stets oder sehr häufig „Honey“ oder „Sweetie“ zu nennen. Was soll so etwas? Wenn es humorvoll sein sollte, ist dieser Humor bei mir nicht angekommen.

Vom „alten“ Benjamin Myers ist in „Strandgut“ meiner Meinung nach leider nicht mehr viel übriggeblieben, auch wenn es poetisch-schöne und auch stimmungsvolle Passagen (insbesondere die vom Hotel Majestic mit seinen fast schon Labyrinth artigen Fluren) gibt, aber für eine bedingungslose Leseempfehlung reicht das alles nicht aus.

Zweifellos wird das Buch seine Leser:innen finden; ich jedoch werde wohl in Zukunft einen Bogen um Herrn Myers machen – zu enttäuscht bin ich von „Strandgut“. Darum vergebe ich mit einem weinenden Auge 2,5*.

©kingofmusic