Gefühle, so sanft und tief wie das Meer

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Zum Glück war die Tür nicht ganz zu. Weder für Bucky noch für Dinah. Beide komplett unterschiedlich, beide angeschwemmt vom Leben, treffen aufeinander und rücken langsam näher. Da ist Nähe, da ist etwas zwischen ihnen, das manchmal knistert, aber es geht nicht um große Romantik. Sie lernen sich als Menschen kennen und schätzen und bald hilft nicht nur Dinah, dass es Bucky gelingt auf der Bühne zu stehen, sondern auch er stärkt diese Frau, die er immer besser kennenlernt.
Bucky ist über siebzig, Ex-Soul-Sänger, vom Schmerz gezeichnet, körperlich wie seelisch. Sein ungewollter Entzug im fernen England, seine Trauer um seine verstorbene Frau und seine Einsamkeit werden so krass echt beschrieben, dass man beim Lesen mitzittert und leidet. Und Dinah, die einfach als Frau, Mutter und Alleinverdienerin der Familie funktioniert hat, weil sie dachte, sie muss, die nie den Mut hatte, auszubrechen, auch sie bekommt eine Stimme, die unter die Haut geht.
Klar, der Roman ist melancholisch, was auch die poetische Sprache unterstreicht. Er hat Ecken, ist schwer, manchmal auch richtig traurig. Aber er ist auch auf diese schwarze, trockene Art witzig, die ich so liebe. Und vor allem ist er hoffnungsvoll. Das spiegelt alleine der Titel „Strandgut“ wider. Am Anfang dachte ich noch: Okay, spielt halt am Meer. Aber dann wird klar, wer da wirklich strandet. Und ob man die Chance, an Land gespült zu werden, einfach packen kann. Mit Mitte fünfzig oder mit über siebzig.
Auch die Nebenfiguren sind total gelungen. Nicht nur die, die man mögen soll, wie die Reinigungsdame Shabana, sondern auch die unangenehmen, wie Dinahs Familie. Allen könnte man tatsächlich so auf der Straße begegnen. Und das ist für mich das Einnehmende an diesem Buch: Es kommt ganz ohne großes Drama oder einen extremen Spannungsbogen aus. Stattdessen geht’s tief rein ins Menschliche. Myers rückt mit seinem sprachlichen Ausdruck Gedanken, Gefühle, Schmerz, aber auch in das kleine Glück, das manchmal auftaucht, wenn man gar nicht mehr damit rechnet in den Mittelpunkt und gibt der Hoffnung so eine ihre berechtigte Stimme.