An der Schnittstelle von Normen und Rollenbildern

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Anekdotisch und in losem Zusammenhang erzählt Brady in ihrem Buch, wie sie zu ihrer Autismus-Diagnose gekommen ist, wie ihr Leben vor und nach der Diagnose verlief und wo sie spezifische Zusammenhänge zwischen dem Leben als Frau und dem Leben als Autistin sieht.

Über weite Teile ihrer Lebenserzählung beschreibt Brady, wie sie sich nicht erklären konnte, soziale Normen und Gepflogenheiten nicht gleich erlernen zu können wie eine Fremdsprache – wo sie doch gerade für letztere ein besonderes Talent zeigte in der Schule.

Die Metapher der Fremdsprache ist ein nützliches Bild, um darzulegen, wie sich Brady unsicher fühlt in zwischenmenschlichen Situationen – und nicht intuitiv so kommunizieren kann, dass ihr Glaubwürdigkeit zugesprochen und Ernsthaftigkeit entgegengebracht wird. Die Umkehrung von authentischem Ich und wahrgenommenem Du taucht immer wieder auf in ihrer Lebensgeschichte.

Ebenso thematisiert Bardy immer wieder, dass ihr lange die richtigen Begrifflichkeiten und Worte gefehlt haben, um ihren Leidensdruck und ihre Bedürfnisse korrekt aussprechen zu können. Dass sie diese Hürde nun überwunden und dieses Buch geschrieben hat, wird sicher für andere, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, helfen.

In ihrer Erzählung nimmt Brady kein Blatt vor dem Mund. Sie erzählt von ihren sexuellen Erfahrungen, davon, wie sie als Studentin als Stripperin arbeitete und wie ihre Meltdowns dazu führ(t)en, dass sie das ganze Mobiliar in ihrer Wohnung zerstörte. Die Sprache ist teilweise sehr direkt und unverblümt; so ist sie aber auch authentisch und man hat das Gefühl, dass Brady einem wirklich von ihrem Leben erzählt.

Besonders an diesem autobiografischen Bericht ist Bradys Fokus auf die Intersektion von Sexismus und Autismus. Brady zeigt auf, wo sie als autistische Frau auf besondere Hürden stösst – aber auch, welche Chancen sich autistischen Frauen eröffnen können.

Brady ist es gelungen, Einblick in ihr Leben zu geben und dabei eine gute Balance aus individueller Lebensgeschichte und Aufklärungsarbeit/Aktivismus zu finden. Sie spricht nicht für alle autistischen Frauen, aber sie gibt Einblick in ihr Leben als autistische Frau. Sie zeigt auf, welche Learnings sie aus der Therapie mitgenommen hat, welchen Stolpersteinen sie auf dem Weg zu ihrer Diagnose begegnet ist und ist so sicherlich für viele junge Frauen eine Inspiration.

Ich empfehle das Buch unbedingt allen, die sich für gesellschaftliche Themen interessieren, die sich an der Schnittstelle von Medizin, Geschlechterbildern und sozialer (Un-)Gerechtigkeit befinden.