Ehrlich und arrogant, mutig und herablassend

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Fern Brady erzählt ihre sehr persönliche Lebens- und Leidensgeschichte als eine Frau, die spät als Autistin diagnostiziert wurde. Schon zu Schulzeiten vermutet Brady selbst Autismus bei sich, aber lange wird sie nicht ernstgenommen, weil einige Aspekte nicht zu dem passen, was für Autismus als typisch gilt (andere jedoch sehr wohl, was aber keinen zu interessieren scheint).

Das Buch beginnt mit der Diagnose und einem Kurzdurchlauf der Erfahrungen mit ihrem Verhalten und spult dann zurück, um die Geschichte von der Kindheit bis zur Gegenwart zu erzählen. Dabei werden viele Anekdoten aneinandergereiht, denen ein wenig mehr Struktur nicht geschadet hätte. Grob chronologisch geht es durch Schule, Psychiatrie, Uni und Jobs als Stripperin bis zur Stand-up-Comedy. Es geht um Sex, Drogen und Gewaltausbrüche. Brady nimmt kein Blatt vor den Mund und berichtet auch von wirklich schlimmen und peinlichen Situationen.

Leider empfand ich die Autorin als besserwisserisch, teilweise arrogant und widersprüchlich. Zum Beispiel erklärt sie, Autist*innen gäben wenig auf soziale Regeln und seien unverblümt und geradeheraus. Sie selbst aber lügt, versucht sich anzupassen, lässt Dinge geschehen, die sie eigentlich nicht möchte. Sie beklagt die Dummheit anderer und beschwert sich über die Weltfremdheit ihrer Mitstudent*innen, die nicht wüssten, was Butter kostet. Sie selbst rühmt sich ihres Intellekts und ihrer Neugier auf die Welt, weiß aber nicht, was ein Dispokredit ist und verschuldet sich dadurch.

Generell blickt sie oftmals auf andere herab, seien das andere Frauen, neurotypische Menschen oder eben ihre Mitstudent*innen aus reichem Hause. Wenn es darum geht, wie Autist*innen ticken, wird verallgemeinert, was das Zeug hält. Gegen Ende wird das Buch etwas versöhnlicher, selbstreflektierter und es gibt schon auch das ein oder andere, was ich daraus mitnehmen konnte. Interessante Einblicke, beispielsweise was Unsicherheiten bei Veränderungen oder die Auslöser von Meltdowns angeht; hin und wieder spielt auch etwas Humor mit hinein.

Ich halte mich im Grunde für sehr empathisch und verständnisvoll und ich weiß auch, wie widersprüchlich Menschen in sich sein können. Mir muss ein Autor auch nicht sympathisch sein, um ein gutes Buch zu schreiben oder die spannende Geschichte seines Lebens zu erzählen. Trotzdem konnte ich mich leider nicht für „Strong female character“ erwärmen.