Spannender Krimi als Trilogie-Auftakt

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REZENSION – Vor vier Jahren trat in Schweden ein verschärftes Sexualstrafgesetz in Kraft, im Volksmund auch Zustimmungsgesetz genannt. Seitdem werden auch sexuelle Übergriffe als Vergewaltigung gewertet, die zuvor anders klassifiziert wurden. So wurde erst 2018 der Straftatbestand der „fahrlässigen Vergewaltigung“ eingeführt. Entscheidend ist seitdem, ob für sexuelle Handlungen ein beiderseitiges, klar zum Ausdruck gebrachtes Einverständnis bestand. Selbst bei sexuellen Handlungen, bei denen die Frau nur auf Drängen des Mannes einwilligt, muss dies vor Gericht nicht zwingend als Zustimmung anerkannt werden, da auch dieses Ja nicht freiwillig erfolgte.
Zurückliegende Fälle, die zur Änderung des schwedischen Sexualstrafrechts sowie zum veränderten Umgang der Polizei mit verdächtigten Kindern führten, bilden den Hintergrund zu dem kürzlich im Rowohlt Verlag veröffentlichten Kriminalroman „Sturmrot“ der schwedischen Schriftstellerin Tove Alsterdal. Der bereits mit dem Schwedischen Krimipreis 2020 und dem Skandinavischen Krimipreis 2021 ausgezeichnete Roman ist Auftakt einer vielversprechenden Trilogie um die Dorfpolizistin Eira Sjödin, die in der nordschwedischen Region Ådalen in die Aufklärung eines Mordfalles eingebunden wird.
Olof Hagström war auf der Überführungsfahrt eines von seinem Chef gekauften Oldtimers spontan in seinen Geburtsort abgebogen, den er vor 23 Jahren verlassen musste. In seinem Elternhaus findet er den Vater, zu dem er seitdem keinen Kontakt hatte, erstochen in der Badewanne. Zu den Ermittlungen wird die ortskundige Mittdreißigerin Eira Sjödin hinzugezogen, die sich kürzlich aus Stockholm in die heimatliche Provinz hatte versetzen lassen, um ihre an Demenz erkrankte Mutter zu versorgen.
Von Nachbarn beim Verlassen des Tatorts vermutlich auf frischer Tat erwischt, wird Olof Hagström sofort als Tatverdächtiger festgenommen, obwohl er den Mord bestreitet. Zu seinen Lasten spricht allerdings die Tatsache, dass er bereits vor 23 Jahren als 14-Jähriger die 16-jährige Lina Stavred vergewaltigt und ermordet hatte. Erst nach wiederholtem Widerspruch hatte er letztlich den Mord damals doch zugegeben, konnte als Minderjähriger jedoch nicht vor Gericht gestellt werden. Stattdessen wurde er vom Vater verstoßen, kam in ein Jugendheim und wurde seitdem nie wieder in seinem Heimatdorf gesehen. Eira Sjödin, die sich im Gegensatz zu ihren ortsfremden Kollegen im Ermittlerteam mit den Menschen und deren dörflicher Lebensart vertraut ist, dringt tiefer in die Hintergründe ein, die eine Verbindung zwischen dem aktuellen und dem damaligen, juristisch längst abgeschlossenen Mordfall als Folge einer Vergewaltigung wahrscheinlich werden lassen.
Tove Alsterdal beschreibt ausführlich Landschaft, Örtlichkeiten und Menschen der nordschwedischen Küstenregion und schafft es dadurch, die charakterlich unterschiedlich geprägten Küsten- und Dorfbewohner bis hin zu den Randfiguren ihres Romans mit deren alltäglichen, auch hintergründig verborgenen Sorgen und Problemen lebendig werden zu lassen. Dies gilt in erster Linie natürlich für Eire Sjödin, die neben ihrer beruflichen Beanspruchung auch durch die Pflege und Sorge um die demente Mutter Kerstin in Anspruch genommen wird. Hinzu kommt die Unsicherheit ihrer eigenen Lebensplanung, einerseits der Mutter wegen als Dorfpolizistin in der Provinz zu versauern oder Karriere bei der Mordkommission in Sundsvall zu machen, andererseits als Mittdreißigerin vielleicht doch noch eine Familie gründen zu wollen.
„Sturmrot“ ist kein spannungsgeladener Action-Krimi, obwohl er gegen Ende in seiner Dramatik anzieht und nach logischem Aufbau des Geschehens für Ermittlerin Eire eine unangenehme Wendung nimmt. „Sturmrot“ ist ein in mehreren Zeit- und Handlungsebenen strukturierter Roman, der vielleicht deshalb stellenweise etwas langatmig wirkt. Allerdings mag man diesem ersten Band zugute halten, dass er in seiner Szenerie und zur Vorstellung der wichtigsten Protagonisten, zu denen neben Mutter Kerstin vor allem Teamleiter Georg Georgsson und ihr junger, in Leben und Beruf noch unerfahrener Kollege August gehören, die notwendige Grundlage auch für die beiden Folgebände schafft. Man darf also auf den zweiten Band „Erdschwarz“ gespannt sein, der schon Mitte Oktober erscheinen soll. Der dritte Band „Nebelblau“ ist erst für Juli kommenden Jahres angekündigt.