Eine Frau, die einem ans Herz wächst und ihr bewegendes Leben

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elke seifried Avatar

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Die inzwischen 86-jährige „Emmy lebte so, wie sie es wollte. Sie liebte ihre Zweizimmerwohnung in Tegel, die nun schon mehr als ein halbes Jahrhundert ihr Zuhause war, und ließ sich von niemandem Vorschriften machen.“, bekommt regelmäßig Besuch von ihrer überbesorgten Tochter Hilde, die alles unternimmt, „damit ihre Mutter sich wohlfühlte. Sie versorgte Emmy mit Vitaminpillen, beheizbaren Hausschuhen, Knoblauchkapseln, Spurenelementen aus dem Reformhaus, Kirschkernkissen und unzähligen Flaschen Doppelherz.“, was Emmy schon ab und an fast ein wenig zu viel wird. Als Hilde sich im Keller umsieht, was dort alles entsorgt werden kann, entdeckt sie zufällig alte Aktenordner und darin ein Stück Flurkarte samt Grundbucheintrag und vergilbtem Kaufvertrag. Hilde, peinlich ertappt, »Ich wüsste nicht, was dich mein Keller angeht«, wies Emmy sie scharf zurecht. »Ich bin alt, aber nicht senil. Wenn du was suchst, kannst du mich gefälligst vorher fragen.« Ihre Mutter war hörbar aufgebracht. Konnte sie es jetzt noch wagen, sie auf den überraschenden Fund anzusprechen? »Sag mal, Mama…« »Moment, ich bin noch nicht fertig. Ich möchte nicht, dass du in meinen Sachen rumwühlst, egal, wo sie stehen. Hast du mich verstanden?«, traut sich nicht mehr weiter zu fragen, sondern holt lieber ihre Geschwister mit ins Boot. Otto, der dauerpleite Bruder, steckt sie mit seinen Träumen vom Millionenerbe schnell an. Wird der in Erfüllung gehen, wenn Schwester Tessa ohne Mutters Einverständnis, die natürlich längst die Ambitionen ihrer beiden Ältesten ahnt, mit der Sache gar nichts zu tun haben will und es da ja auch noch Pflegekind Anni gibt, zu der Emmy schon immer ein ganz besonderes Verhältnis hat? Das wird natürlich nicht verraten, nur so viel vielleicht noch, während man zunehmend neugieriger gemacht wird, woher das Familienerbe kommt und wer am Ende schließlich davon profitieren wird, lässt Emmy ihr bewegtes Leben mit den vielen Höhen und Tiefen Revue passieren.

Die Autorin hatte mich mit ihrem locker, humorvoll aber auch sehr emotionalen Schreibstil und ihrer liebenswürdig, humorvollen Hauptdarstellerin Emmy, die ich sehr gerne in ihren Erinnerungen von klein auf begleitet habe, sofort in der Geschichte. Ich konnte mich mit Emmy freuen, sei es, wenn sie endlich zur Schule und Lernen darf, sie Hauke umgarnt und sie mit ihm eine schöne Zeit verbringen kann, sie in Marianne eine tolle Freundin oder auch tatsächlich doch noch die Liebe ihres Lebens erleben darf. Ich musste mit ihr so manchen tiefen Schicksalsschlag hinnehmen, sei es wenn Vater oder Mutter stirbt oder sie von ihren Geschwistern getrennt wird und so am Boden ist, »Was soll denn noch gut werden?«, fragte Emmy matt. »Wart’s ab. Wenn du erst in Berlin bist, rückt alles hier bald in weite Ferne.« »Ich werde meine Schwestern nie mehr wiedersehen, muss alleine in die große Stadt, meine Eltern sind tot und meine Großmutter liegt in einem Armengrab. Ich weiß nicht, was da noch gut werden soll.« und musste mit ihr aufgrund ihrer Herkunft so manche Demütigung, vor allem von der Schwiegermutter, einstecken, von der »Diese… diese Person ist ein moralischer Moloch. Sie hat keinen Charakter« nur eine kleine Kostprobe ist. Ich durfte zum Glück aber auch Genugtuung verspüren, weil sich Emmy nie die Butter vom Brot nehmen lässt und nie um eine passende Antwort verlegen ist. Auch die Einblicke in das Leben ihrer Kinder, die alle ebenfalls ihr Päckchen zu tragen haben, vermögen zu bewegen. Die Autorin hat mich zudem ganz oft zum Schmunzeln gebracht, wofür solch pointierte Dialoge wie »Er tut mir gut. Er ist erfahren und reif«, sagte sie. »Überreif«, korrigierte Emmy. »Väterlich«, sagte Tessa und zwinkerte ihrer Mutter zu.“, oder »Ein echter Seidlitz zeugt nur Söhne«, sagte Hauke mit stolzgeschwellter Brust. »Dich haben sie ja wohl mit dem Klammerbeutel gepudert«, gesorgt haben. Die Tatsache, dass sie älter wird, das Herz nicht mehr so zuverlässig ist, wird hier ebenso mit viel Galgenhumor ertragen, „»Glaubst du, der Sensenmann macht wegen der Knoblauchkapseln einen Bogen um mich?« »Mama, Knoblauchkapseln riechen nicht.« »Zum Glück, dann wird meine Abholung daran nicht scheitern«, und manchmal wusste ich nicht, soll ich schmunzeln oder soll ich mehr betroffen davon sein, dass es auf ihr Ende zugeht.

Emmy ist mir im Laufe der Geschichte so richtig ans Herz gewachsen. Sie hat mich oft so oft zum Schmunzeln gebracht und ich habe sie Stück für Stück mehr bewundert, dafür, dass sie ihren Optimismus und ihre Zufriedenheit trotz all der spitzen Steine, die ihr das Leben in den Weg gelegt hat, behalten hat. Sie ist gelungen gezeichnet, wie auch die anderen Nebendarsteller. Ihre drei Kinder könnten unterschiedlicher nicht sein. Hilde ist die Hundertprozentige, die um Anerkennung kämpft, die ein Otto, auch wenn er gern den großen Mann spielt, wohl ebenfalls nur sucht. Warmherzig sind hingegen Tessa, die jüngste und besonders auch Pflegetochter Anna, die sicher am meisten von Emmys Zuneigung abbekommen hat, waren, als sie in ihr Leben getreten ist, doch die schlimmsten Hürden bereits gemeistert. Hauke ist interessant, mit seinen zwei Gesichtern, je nachdem wie weit seine despotische, dreiste Mutter entfernt ist.

Alles in allem hatte ich mit Emmys Lebensgeschichte gelungene Unterhaltung. Und auch wenn sie stellenweise doch auch bedächtig vorangeht, habe ich mich zunehmend mehr festgelesen. 4,5 Sterne