Lässt sich die Vergangenheit vergessen?
Journalist Julian Borger, Leiter des Außenpolitikressorts der Zeitung "The Guardian" widmet sich in seinem Buch unter anderem dieser Frage. Anlass ist die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit, konkreter mit der Geschichte seiner Familie. Im Rahmen einer Recherche stößt Borger auf eine Annonce im "Manchester Guardian" und erschrickt, als er den Namen seines Vaters, Robert Borger in dieser liest. Dessen Eltern hatten Robert 1938 aufgrund des Anschlusses Österreichs an das "Deutsche Reich" aus Wien nach Großbritannien vermittelt. Der Suizid des Vaters wird plötzlich erklärbar und aus einer Recherche zu einem Einzelschicksal wird schnell eine Suche nach weiteren Schicksalen. Fragen rund um die Themen erinneren und vergessen werden gestellt. Muss man sich erinneren oder darf man die eigene Vergangenheit vergessen? Ist das überhaupt möglich? Wie verändert sich die eigene Identität, wenn man aus der gewohnten Umgebung gerissen wird? Wenn die eigene Familie Opfer schrecklicher Gräueltaten wird? Robert scheint entwurzelt worden zu sein, und gleichzeitig kaum über sein Schicksal gesprochen zu haben. Ich halte das Buch für sehr relevant, da es ein Thema der NS-Zeit behandelt, das bisher wenig Aufmerksamkeit bekommen hat: das der Kinder, die überlebten, da ihre Eltern sie aus Liebe ins Ausland schickten. Insbesondere die Perspektive Julian Borgers, der einerseits die Geschichte seines eigenen Vaters und somit auch seiner eigenen Identität erforscht und andererseits weitere Schicksale jüdischer Kinder recherchiert und aufgearbeitet hat, finde ich sehr interessant. Auch, wenn die Thematik sehr bedrückend ist, gebe ich Borger recht, der im Epilog schreibt, dass die Geschichten von Überlebenden geschrieben werden und die kollektiven Erinnerungen von Holocaust und Krieg, deshalb auch "eine Spur Optimismus" aufweisen. Statt einer Opferperspektive, wird die des Überlebenden gewählt und werden diejenigen in den Fokus gerückt, die durch Menschlichkeit Leben retteten. Gerade in der heutigen Zeit, muss man immer wieder an diese Menschlichkeit appellieren.