Eine tragische aber bedeutende Geschichte

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Die tragischen Ereignisse der Judenverfolgung zur Zeit des Zweiten Weltkriegs scheinen in groben Zügen bekannt zu sein. Dennoch ist es etwas völlig anderes über Einzelschicksale zu lesen und aus erster Hand zu erfahren, was diese unvorstellbaren Verbrechen ausgelöst haben, wie es sich angefühlt hat und wie weitreichend die Folgen für spätere Generationen waren. Von vielem des hier Beschriebenen habe ich durch dieses Werk zum ersten Mal gehört. Es hat mich zutiefst erschüttert und es gab Momente, in denen ich mir sicher war, das Buch nicht mehr zu Ende lesen zu können.

Julian Borger, der Autor dieses biografischen Romans, ist in Großbritannien aufgewachsen. Seine Tätigkeit als Journalist erleichterte ihm die Rekonstruktion seiner Familiengeschichte. Nach dem Suizid seines Vaters beschäftigt er sich intensiv mit dessen Vergangenheit als jüdischem Flüchtling, der im Alter von gerade einmal elf Jahren nach Irland emigrierte. Bei seinen Recherchen stößt er auf ein Zeitungsinserat des »Manchester Guardian«, in dem sein Vater, unter anderen wiener Kindern, beworben wird und um eine Pflegefamilie gebeten wird, die fernab des Nazi-Regimes den Jungen aufziehen und versorgen könne. So deckt der Autor nicht nur seine eigene Familiengeschichte der Judenverfolgung auf, sondern auch die vieler weiterer aus Wien Geflüchteter. Bei seinen Recherchen verfolgt er deren Spuren nicht nur nach Großbritannien und Amerika, sondern auch nach Shanghai, Frankreich und die Niederlande. In jedes Land, das bereit war, den verfolgten Kindern und ihren Angehörigen damals Schutz zu bieten. Er interviewt viele Nachkommen der damaligen »Guardian-Kinder« und erfährt so von deren Geschichten und Erlebnissen. Zudem wird ihm nach und nach bewusst, welche Gefühle und Ängste seinen Vater in den Suizid getrieben haben mussten. Viele der Verfolgten haben jahrelang nicht über das gesprochen, was ihnen angetan und vor allem was ihnen genommen wurde. Dieses Werk macht deutlich, wie grausam diese Zeit war und was liebende Eltern bereit waren zu opfern, um ihre Kinder in Sicherheit zu wissen. Einige der Geflohenen wurden mit ihren Familien wieder vereint, für viele war es aber auch zu spät und sie mussten jahrelang mit der Ungewissheit leben, nicht zu wissen, was den eigenen Eltern und Geschwistern zugestoßen ist. Viele von ihnen sind aufgewachsen mit der Last der Schuld der Überlebenden und dem Grauen der Ereignisse. Sie berichten davon, dass sie zeit ihres Lebens keine Heimat mehr fanden.

Ein unglaublich schweres und aufwühlendes Buch, das nicht nur zum Nachdenken anregt, sondern auch einige Tränen kostet. Der mitfühlende Schreibstil macht die Menschen und ihre Geschichten unglaublich nahbar. Das ist definitiv kein Buch, das sich mal eben an einem Abend weglesen lässt. Trotz der Tragik und des Schmerzes, die durch das Buch deutlich werden, ist es ein sehr bedeutendes Buch. Es ist wichtig, dass diese bislang unerzählten Geschichten endlich Menschen erreicht, die bereit sind zuzuhören. Die Geschichte behandelt nicht nur das viele Leid, das noch Jahre nach dem Krieg nachwirkt, sondern berichtet von tapferen und mutigen Männern und Frauen, die für ihre Kinder bereit waren, bis ans Äußerste zu gehen. Dieses Werk ist ein Zeugnis der Unmenschlichkeit dieser Zeit und dennoch erzählt es davon, was die Kraft der Liebe zu leisten imstande ist.