Vergiftete Beziehungen

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Ruth Holländer bekommt einen neuen Fall als Schöffin. Sie soll über den Fall Dombroschke urteilen. Nach offensichtlicher Beweislage hat Jürgen Dombroschke seine Frau Margit, die Parkinsson im Endstadium hatte, mit Rattengift getötet. Ihr Mitschöffe Dehmel ist jedenfalls absolut von Jürgens Schuld überzeugt und setzt alles daran, den Prozess so kurz wie möglich zu halten. Doch Ruth ist nicht wirklich davon überzeut, dass dieser zarte, kleine Mann zu dieser Tat fähig war. Sie beginnt, trotz reichlich privater und beruflicher Stresssituationen, tiefer in den Fall einzudringen und forscht auf eigene Faust nach. Sie blickt dabei in ungeahnte Abgründe und sticht in ein Wespennest, das ihr sehr gefährlich werden könnte ...

Die Autorin Judith Arendt ist vielen Lesern unter ihrem wirklichen Namen Tanja Weber kennen, bietet mit der Serie um Schöffin Ruth Holländer eine neue Art von Krimi: hier treffen Themen aus „Frauenliteratur“ auf Kriminalfälle. Die daraus resultierende Mischung liest sich einfach genial und macht Laune. Spannung und Gefühl kommen beide nicht zu kurz. Außerdem geht sie viel tiefer als andere Autoren – nicht die Tat, sondern das Motiv steht im Mittelpunkt. Mir persönlich gefällt das unbeschreiblich gut.

Der Stil von Judith Arendt liest sich wunderbar flüssig und leicht, ohne oberflächlich zu sein. Die Autorin beschreibt die Gedanken und Gefühle ihrer Schöffin Ruth Holländer nicht zu deutlich, aber so, dass der Leser (oder die Leserin) sich sehr gut in sie hineindenken kann und mit ihr mitleidet, mitliebt, mitdenkt, mitkämpft. Anders als bei üblichen Kriminalromanen wird hier dem Privatleben der Protagonisten genug Raum gegeben. Wo sonst einzig die Aufklärung zählt, erleben wir hier fast schon in Echtzeit, was wann wie geschieht.

Dazu die Rückblenden zu Margit und Jürgen Dombroschkes Kennenlernen und dem Lauf ihrer Beziehung. Man versteht dadurch viel leichter, warum welche Protagonisten genau so handeln, wie sie es tun. Niemand ist hier einfach nur böse und gemein – die Gründe für das Handeln (auch wenn sie nicht jeder für sich so empfinden würde) werden offengelegt. Dadurch hat man auch mit denen, die eigentlich viel Leid verursachen, Mitleid und Mitgefühl.

Auch viele der anderen Protagonisten werden näher, als in anderen Büchern üblich, vorgestellt. Auch ins Privatleben der Teenagertochter darf der Leser einen Blick werfen und die Sorgen einer Teenagermutter kommen nicht zu kurz. Jamila, Ruths Freundin und Angestellte, lernen wir auch ein wenig näher kennen. Ebenso über Hannes Geschichte und Ehe werden wir Leser informiert. All dies und mehr – und das, ohne abschweifend zu werden, zu viel (oder zu wenig) zu sagen und das Buch zu überladen. Alles ist so perfekt dosiert, dass ich das Buch kaum aus den Händen legen wollte.

Genau wie beim Vorgängerband bin ich begeistert darüber, dass alles „rund“ ist und die Protagonisten nicht aalglatt, sondern mit Ecken und Kanten sind, wie eben im echten Leben. Niemand ist eben „nur“ gut oder böse, sondern alle haben ihre Fehler – auch unsere Schöffin Ruth! Sehr schön auch, wie sie nach ihrer gescheiterten Ehe vorsichtig an eine neue Beziehung herangeht. Diese ist nicht ohne Probleme, Ruth ist bereit, daran zu arbeiten, aber Ruth ist auch nicht total ergeben und abhängig. Eine tolle Frau, die anderen Frauen Mut machen kann.

Auch ohne den ersten Band „Unschuldslamm“ zu kennen, kann man „Sündenbock“ gut lesen. Man hat dann zwar ein paar private Aspekte nicht ganz so genau kennengelernt, aber für den Fall und das Verständnis spielt das keine Rolle. Allerdings empfehle ich, nicht auf den ersten Band zu verzichten, da Judith Arendt mit Ruth Holländer eine tolle Protagonistin „in der Mitte des Lebens“ geschaffen hat, die gerade Leserinnen ab Mitte 40 besonders sympathisch ist und ans Herz wächst. Erlebt sie doch vieles von dem, was man selbst durchmacht und wird damit schnell zur Freundin. Und sie zeigt, welche Power Frauen um die 50 noch haben können, wenn sie sich selbst etwas zutrauen!

Schade, dass der Verlag kein Interesse daran hat, weitere Ruth-Holländer-Fälle zu veröffentlichen. Mir wird sie sehr fehlen und ich hoffe, beide Bände werden verfilmt und danach werden dann doch noch viele weitere Bände folgen!

Von mir jedenfalls ganz klar fünf glänzende Sterne für ein Buch, das so viel mehr als ein Krimi ist und mir von der ersten bis zur letzten Seite sehr viel Lesefreude bereitet hat!