Eine Spur in der Ferne

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saskian Avatar

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Schon auf den ersten Seiten entfaltet Sunbirds eine dichte, melancholische Atmosphäre, in der Vergangenheit und Gegenwart beinahe traumartig ineinanderfließen. Die Geschichte beginnt ohne Umschweife – mitten in einer stickigen Telefonkabine im indischen Himalaya, wo Anne, die Protagonistin, sich nicht nur in einem anderen Land, sondern auch in der Schwebe ihres eigenen Lebens befindet. Sie ruft nicht wirklich jemanden an, sondern sucht nach einem Echo ihres früheren Selbst, nach einem verlorenen Sohn und nach einem Halt in einer unübersichtlichen Welt.

Die Sprache ist eindringlich, poetisch und voller Sinneseindrücke. Die Ameisen in der Telefonkabine, das Knattern der Motorroller, der Chai mit Kardamom und die Begegnung mit einer Kuh am Straßenrand – all das ergibt eine beinahe sinnliche Textur, in der sich Annes innere Leere spiegelt. Gleichzeitig werden wir mit präziser Beobachtungsgabe in eine fremde Umgebung geworfen, ohne dass je das Gefühl von Exotik-Kitsch aufkommt. Vielmehr ist der Ort ein Spiegelbild des inneren Zustands: unklar, widersprüchlich, lebendig und brüchig zugleich.

Berührend ist, wie subtil die Trauer und die Erschöpfung über sieben Jahre des Suchens mitschwingen – ebenso wie die Hoffnung, die sich in flüchtigen Momenten regt, etwa als Anne einen Fremden für ihren Sohn hält. Diese Mischung aus Verlorensein und unerschütterlichem Willen, weiterzuleben, weiterzusehen, ist das emotionale Herz der Erzählung.

Und dann ist da noch die zweite Erzählebene, die langsam auftaucht – mit der Journalistin Esther, die offenbar eine Verbindung zu Annes Geschichte suchen wird. Ihre Einführung wirkt wie das leise Öffnen einer neuen Tür, neugierig machend und vielversprechend.

Ich möchte weiterlesen, weil Sunbirds nicht nur eine spannende Suche verspricht, sondern eine stille, tief bewegende Geschichte über Erinnerung, Verlust, Mutterschaft und die Frage, wie lange Hoffnung ein Leben tragen kann. Slocombe schreibt mit einer poetischen Kraft, die nicht laut auf sich aufmerksam macht, sondern sich unter die Haut schiebt – und dort bleibt.