Zutiefst berührend

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irene123 Avatar

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Anne Carmichael sucht nun schon seit sieben Jahren nach ihrem Sohn Torran, der auf einer Indienreise einfach aus seinem Hotelzimmer spurlos verschwunden ist. Ihr Mann Robert ist überzeigt davon, dass Torran tot ist und hat die Suche nach ihm aufgegeben. Er wartet seit drei Jahren in Schottland auf die Rückkehr seiner Frau aus Indien, doch Anne schafft es nicht, loszulassen. Sie ist nach all den Jahren der erfolglosen Suche erschöpft und zermürbt, doch ein Aufgeben kommt für sie nicht in Frage. Zu sehr treibt sie die Frage nach dem "Warum" an.

Doch eines Tages erhält die Journalistin Esther, Torrans Cousine, einen vielversprechenden Hinweis auf Torrans Verbleib. Sie macht sich auf Roberts Wunsch hin nach Indien auf, um zusammen mit Anne dieser neuen Spur nachzugehen. Doch Anne ist nicht sehr erfreut über Esthers Kommen, gibt es zwischen den beiden doch ungelöste Konflikte, die das gemeinsame Unterfangen auf eine harte Probe stellen. In der wunderschönen rauen Landschaft der Himalaya-Täler wird die Suche nach Torran schließlich alle Beteiligten nachhaltig verändern, sodass ein Neuanfang möglich scheint.

Mich hat "Sunbirds" von der ersten Seite in seinen Bann gezogen, was zunächst einmal dem wunderbar flüssigen, mit einem Hauch von Melancholie überzogenen, fast schon poetisch anmutenden Schreibstil der Autorin zu verdanken ist. Die Handlung ist nicht linear, es gibt immer wieder Rückblenden in das frühere Leben der Figuren, was zu einem besseren Verständnis der gegenwärtigen Situation führt. Die Geschichte selbst wird aus der Sicht mehrerer Personen erzählt, sowohl aus jener der Hauptcharaktere wie Anne, Esther und Robert, als auch aus der Sicht von Personen, die nur eine untergeordnete Rolle spielen. So ergibt sich, wie bei einem Puzzle, das man langsam zusammensetzt, allmählich ein Gesamtbild. Man lernt zum Beispiel Torran ausschließlich aus den Erinnerungen und Eindrücken der anderen Personen kennen, er bleibt immer etwas schemenhaft im Hintergrund, wobei man als Leser:in gegen Ende des Buches ahnt, was und warum es passiert ist.

Mit Anne hatte ich anfangs meine Schwierigkeiten, da sie mir sehr distanziert, fast emotionslos schien und ich trotz der Verzweiflung, in der sie sich befand, keine Verbindung zu ihr spürte. Erst gegen Ende des Buches ist mir klar geworden, dass diese scheinbare Emotionslosigkeit einfach ein Symptom der tiefen Depression ist, in der sie sich befindet. Für Anne führt die Suche nach ihrem Sohn schließlich zu einem Erwachen, zu einem Erkennen, wer sie wirklich ist. Das Ende überraschte mich wenig, da es logisch und nachvollziehbar ist, auch wenn man sich als Leser:in vielleicht einen anderen Ausgang gewünscht hätte.

Die Themen, die in "Sunbirds" angeschnitten werden, sind vielfältig. Es geht um die Schwierigkeiten von Mutterschaft, um die Schuldsuche, um die Frage, ob und wie weit man seine eigenen Bedürfnisse zugunsten anderer unterdrücken muss, oder ob man ein Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung hat, auch wenn andere dadurch verletzt werden. Mich hat das Buch jedenfalls tief berührt, die bildhaften Beschreibungen der Autorin ließen mich die Schönheit der abgelegenen Täler im Himalaya mit all meinen Sinnen erleben und auch die Charaktere und deren innere Kämpfe sind nicht spurlos an mir vorübergegangen. Daher gibt es von mir eine klare Leseempfehlung!