Ein zauberhafter Roman

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scarletta Avatar

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Charlie steht kurz vor seiner Hochzeit und erinnert sich an eine ganz besondere Zeit vor zwanzig Jahren. Ob er den Mut hat, seiner ersten Liebe nach all der Zeit wieder gegenüber zu treten?

Die Geschichte beginnt im Sommer des Jahres 1997 in einer Kleinstadt im englischen Sussex. Oberflächlich betrachtet ist der 16jährige Charlie ein unauffälliger, zurückhaltender durchschnittlicher Jugendlicher. Für ihn ist nun der letzte Schultag vorbei.

Während viele Klassenkameraden schon ihre Zeit im College planen, sieht Charlie seine Zukunft eher finster, da er davon ausgeht, seine Abschlussarbeiten in den Sand gesetzt zu haben.

Der eigentlich unscheinbare Charlie hat eine große Last zu tragen: In den letzten Monaten ist seine familiäre Welt auseinander gebrochen, was fatale Auswirkungen auf seine Schullaufbahn und seine Gefühlswelt hatte. Seine Mutter lebt mit Charlies Schwester bei ihrem neuen Freund. Ihren Sohn ließ sie beim depressiven, lethargischen, arbeitslosen Vater und dessen Alkoholproblemen zurück. Damit schob sie Charlie auch die Verantwortung zu, sich um den Vater zu kümmern, obwohl es eher anders herum sein sollte.

In jenem endlosen Sommer jobbt der Junge stundenweise in einer Tankstelle. Danach schwingt er sich einsam und gelangweilt aufs Rad und tingelt durch die Gegend, um der Stimmung daheim zu entgehen. Dabei stolpert er eines Nachmittags in eine junge Amateurtheatertruppe, die sich mit Theaterpädagogen auf eine Produktion von Shakespeares „Romeo und Julia“ vorbereiten.

Sie bitten ausgerechnet Charlie, die kleine Rolle von Romeos Cousin Benvolio zu übernehmen. Bislang hat er seine theaterspielenden Mitschüler abwertend belächelt und als Nerds und Weicheier angesehen.
Doch Charlie hat sich just in die strahlende Fran Fisher verguckt, die die Rolle der Julia spielen wird. Also stimmt er zum Schein zu, denn dies ist die einzige Möglichkeit, Fran näher zu kommen. Damit ist der Fisch am Köder…

Für Charlie sind die Theaterproben in jeder Hinsicht eine Herausforderung. Obwohl er seine Rolle verheimlicht, verliert er damit den Respekt seiner Freunde und beginnt sich zu verändern. Fran ist nicht nur unerwartet in Charlies düsteres Leben geplatzt, sie bringt auch Leichtigkeit und Hoffnung hinein.

So beginnt denn also der unvergessliche Sommer, der Charlies bis ins Erwachsenenalter im Bewusstsein bleiben wird.

Fazit

Der deutsche Untertitel „Weil die erste Liebe unvergesslich ist“ klingt in meinen Ohren doch recht kitschig im Vergleich zum englischen Originaluntertitel „One life changing summer“. Denn eine Wende in Charlies Leben wird auf jeden Fall eingeleitet, auch wenn der Kurvenradius etwas größer ist…

Als Leser*in fühlt man sich schnell mit dem Hauptcharakter Charlie verbunden. Sein Weg zum Erwachsenwerden ist wirklich sehr steinig, weil die begleitenden Erwachsenen einfach versagen. Charlie scheint oft genervt, doch insgeheim ist er ein „Kümmerer“, der sich immer um den Vater sorgt. Es ist sehr bewegend, wie er viel zu viel Verantwortung für sein Alter übernimmt.

Mich hat seine Entwicklung von Anfang an in ihren Bann geschlagen. Er ist durchweg sehr authentisch mit all seinen jugendlichen Problemen und Gefühlen: dem chaotischen Elternhaus, das all seine Probleme auf ihn abwälzt, die Zukunftsängste, Verzweiflung über seinen Vater, die Zweifel an seinen bröckelnden Schulfreundschaften, der Suche nach seinen eigenen Fähigkeiten, dem Umgang mit dem Gefühl der Liebe. Bewundernswert finde ich auch seine Entwicklung und Durchhaltevermögen im Theaterspiel. Er ist wirklich alles andere als ein durchschnittlicher 16jähriger.

Anfangs fürchtete ich auch eine eher zuckersüße erste Liebesgeschichte. Doch darin wurde ich positiv enttäuscht. Die Beziehung zwischen den beiden jungen Menschen ist viel tiefgründiger.
Diese einfühlsamen Darstellungen von Beziehungen sind Nicholls Stärke. Seine Dialoge sind immer scharfsinnig oder lustig.

Sehr berührend stellt Nicholls die entscheidende Rolle von zwischenmenschlichen Beziehungen für den weiteren Lebensweg dar. Neben dem Brennen der ersten Liebe sind da auch die Fehlbarkeiten der elterlichen Zuwendung, die Oberflächlichkeit der Kumpel aus der Schulzeit. Zum anderen bewegt die unerwartete Kraft der Freundschaft, die an ganz unerwarteter Stelle gekeimt ist. Auch wenn Charlie das noch nicht sehen kann, die Theaterarbeit hat ihn für den Fortlauf seines Lebens beeinflusst, auch wenn er nie wieder auf einer Bühne stehen wird.
Die fundierte Schilderung der theaterpädagogischen Arbeit mit den jungen Darstellern verrät zudem, dass Nicholls über eine Schauspielausbildung verfügt.

Ich empfand Nicholls Erzählstil als sehr angenehm, mal ein wenig lustig, mal ein bisschen traurig und im Rückblick ein klein wenig melancholisch und rührend, aber immer sehr liebenswert.