White Trash Mama

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Hier handelt es sich nicht um einen Thriller, wie ich zunächst dachte, sondern vielmehr um eine Mischung aus Sozialdrama, leicht schrägem Humor und Spannungsroman. Der amerikanische Autor Travis Mulhauser nimmt uns in seinem Romandebüt mit ins drogenvernebelte Unterschichtsmilieu von Michigan und von dort aus direkt in einen eisigen Schneesturm. Im Zentrum steht die 16jährige Schulabbrecherin Percy, die sich notgedrungen um ihre Junkie-Mutter Carletta kümmert. Als Percy auf der Suche nach ihrer Mutter im Haus von Crystal-Meth-Dealer Shelton landet, findet sie dort ein halb erfrorenes Baby. Während Shelton und seine Freundin ihren Rausch ausschlafen, kämpft sich Percy gemeinsam mit einem Freund zu Fuß durch die Kälte, um Baby Jenna in ein Krankenhaus zu bringen. Aber dann wacht Shelton auf und ist wild entschlossen, das Kind zu finden.

Abwechselnd ist man an der Seite von Percy und Shelton. Das liest sich spannend, es entwickelt sich aber nicht unbedingt ein gnadenloses Katz-und-Maus-Spiel. Nach und nach kommt es zu eher zufälligen Treffen verschiedener Figuren. Ich hatte mit einigen finsteren Antagonisten gerechnet, aber die kommen nicht vor.
Shelton ist nicht böse, aber dumm und unberechenbar und deshalb nicht ungefährlich, zumal er unter ständigem Einfluss von Drogen steht, die zum Hauptthema des Buches zählen. Kaum lässt deren Wirkung nach, werden Lachgas, Meth und Whiskey nachfüllt. In Sheltons simples Weltbild mischen sich Homophobie und Rassismus. Als er endlich auf die Beine kommt, werden erst einmal die zwielichtigen Mexikaner unter die Lupe genommen.

Percy schließt man sofort ins Herz und fiebert mit ihr mit. Sie ist tough, zielstrebig und gutherzig. Einen Großteil der Handlung bahnt sie sich ihren Weg durch die Schneekälte und versucht, die kleine Jenna warm zu halten. Das klingt banal. Aber die Situation hat eine gewisse Doppeldeutigkeit. Percys und Jennas Leben ähneln sich nicht zufällig. Beide Schicksale hängen am seidenen Faden und können leicht in die eine oder andere Richtung kippen. In die Thrillerfacetten mischt sich der Eindruck eines Jugendbuches, samt Coming-of-Age-Thematik. Der Weg durch den Sturm wird zur Suche nach menschlicher Wärme, sozialem Halt und der eigenen Identität. Letztendlich geht es bei dieser "Flucht" um die Frage, ob Percy sich abnabeln kann und ihren Weg raus aus dem "White Trash" schafft.

In einer angenehmen, leichten Schreibweise wechselt der Autor zwischen spannenden und tragischen Szenen und schafft es gleichzeitig mit einer eisig-winterlichen Kulisse eine triste, beklemmende Atmosphäre heraufzubeschwören. Der Stil ist originell - das meiste wirkt bei aller Kuriosität natürlich und echt. Die humorige Note entsteht eher nebenbei, indem Mulhauser die Borniertheit einiger Figuren abbildet. Dies führte leider dazu, dass mir bei den Charakteren, vor allem Shelton, zeitweise eine Spur Tiefe und Verstehen fehlte. Vielleicht wollte der Autor aber genau das - Aktionen und Gedankengänge zeigen, die einem speziellen Milieu und einer angeschlagenen Psyche entspringen und deshalb weder vielschichtig noch nachvollziehbar sind. Trotzdem kann ich nicht leugnen, dass ich von den Personen gerne noch etwas mehr zu sehen bekommen hätte.

Was ich sehr mochte, war die Botschaft, die man aus dem Buch mitnimmt: Wir haben unser Schicksal nicht immer selbst in der Hand, aber letztendlich werden wir an unseren Handlungen und Entscheidungen gemessen. Oder, wie ein altes Sprichwort sagt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

Fazit: Ein interessantes Romandebüt, das Lust auf mehr von dem
amerikanischen Autor macht. Wenn man sich von der Erwartung eines Thrillers ein Stück weit entfernen kann, wenn man offen ist für die gar nicht mal unrealistischen Fahrlässigkeiten eines schrägen Drogenmilieus, dann bekommt man hier atmosphärisch-fesselnde Unterhaltung mit einer cleveren jugendlichen Heldin und eine Message, die nah am Leben ist und nachhallt.