Wenn Vergessen die einzige Chance ist

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heinoko Avatar

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600 Seiten Lesefutter, nicht zum Nägelkauen nervenaufreibend, aber so fesselnd, dass man liest und liest und nicht mehr mitbekommt, wie die Zeit um einen herum vergeht…
Da gibt es einen Cold Case mit einem vor vielen Jahren gefundenen Skelett an einem einsamen Platz mitten im Wald, und jetzt wiederum eine Tote, genau an dem gleichen Platz abgelegt. Ein Kommissar verschwindet. Und eine wirre Frau ohne Gedächtnis wird im Wald aufgegriffen. Da gibt es einen verunsicherten Jungen, der so gerne Frauenkleider trägt und dies als Krankheit sieht. All dies geschieht im und um den trostlosen Ort Ormberg, der mitten in den finsteren Kiefernwäldern liegt und in dem noch andere eigenbrötlerische Menschen leben, die meisten alt und resigniert. Niemand versteht, dass genau an diesem gottverlassenen Ort Flüchtlinge einquartiert werden, denen von Staats wegen viel geschenkt wird, genau vor den Augen der Bewohner, die selbst nichts haben bis auf ihre eigene heruntergekommene Bleibe.
Camilla Grebe schreibt ohne Schnörkel, ohne unnötige Zeitsprünge, ohne die Handlung in Schnipseln zu servieren. All diese „Stilmittel“ hat sie nicht nötig. Sie schreibt aus insgesamt drei Blickwinkeln, aber immer die Handlung klar verfolgend, und das macht das Lesen so überaus angenehm. Sie nimmt sich viel Zeit, die Protagonisten in ihrer jeweiligen Sichtweise, in ihrem jeweiligen Erleben darzustellen, wobei ich persönlich die größte emotionale Nähe zu Jake, dem von vielerlei Problemen gequälten Jungen, empfand. Die junge Polizistin Malin, die in Ormberg aufgewachsen ist, tut sich schwer, erneut mit der Tristesse ihres Heimatortes zu Recht zu kommen. Und Hanne, die Profilerin, spürt zunehmend die Qualen der fortschreitenden Demenz. Durch die Augen dieser drei Personen erleben wir eine lange Zeit auf der Stelle tretende Ermitlungsarbeit, die erst gegen Ende des Buches in einer überraschenden Wendung zur Aufklärung findet. Die Stärke der Autorin liegt eindeutig in der Kraft ihrer Schilderungen der allgewaltigen Natur, deren immenser Sog grenzenlose Hoffnungslosigkeit zurücklässt. Camilla Grebes atmosphärisch dichte Schilderung der mächtigen Wälder und des von der Welt vergessenen Ortes Ormberg lassen die Menschen dort geradezu machtlos wirken, einsam und in ihrer eigenen Verlorenheit ohne Chance des Entkommens. Eisig kalt wird es dem Leser beim Eintauchen in dieses Psychogramm eines Ortes des Schweigens, denn, wie die Autorin im Nachwort schreibt: „Ormberg ist überall…“