„Ich schreibe über alles, was mich zum Weinen gebracht hat.“

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„Trotzdem gab ich nicht auf. Es gibt Projekte, die eine Art Unausweichlichkeit haben, dich jenseits aller Vernunft fesseln, aus Gründen, die du nicht verstehst. Oft sind das Fata Morganas, das weißt du, aber du kannst nicht anders, als dich ihr so weit anzunähern, bis sie vor dir verschwindet. Die Bombe war so etwas. Ich schrieb immer langsamer und mit einer Art luzider Verzweiflung, den Moment erwartend, in dem ich mich mit nichts in Händen wiederfinden würde.“

Paolo ist ehemaliger Physikstudent. Nun ist er Journalist und arbeitet seit einigen Jahren an einem Buch zur Atombombe. Nachdem seine neun Jahre ältere Ehefrau Lorenza nach drei Jahren fruchtlosen Versuchens ein gemeinsames Kind zu bekommen, die Bemühungen einstellen möchte, stürzt diese Entscheidung Paolo in eine persönliche Krise. Diese Krise bringt einen Stein ins Rollen und lässt den Ich-Erzähler sich bewusst mit den großen und kleinen Katastrophen im Leben eines Menschen auseinandersetzen. Der Klimawandel, Terroranschläge und die atomare Bedrohung beschäftigen Paolo genauso wie seine eigene Kinderlosigkeit, die Trennung seines ehemals besten Studienfreundes von dessen Frau, die persönlichen Irrungen eines befreundeten Priesters, die Freundschaft mit dem bekannten Professor Novelli, der sich mit Wolkenformationen und ihrem Einfluss auf den Klimawandel beschäftigt. Paolo reist rastlos in der Weltgeschichte umher, ist mal motiviert, dann wieder auf seine niedersten Instinkte reduziert. Als eine schwerwiegende Augenoperation bei ihm durchgeführt wird und er einige Zeit später nach Japan reist, wo er den Gedenkfeiern zu den Atombombenangriffen auf Hiroshima und Nagasaki bewohnt und dort Terumi Tanaka trifft, der als dreizehnjähriger Junge den Atombombenangriff in Nagasaki überlebt, werden Paolo buchstäblich die Augen geöffnet für das, was wirklich im Leben zählt und die persönliche Krise scheint überwunden. Gleichzeitig bleibt die große Frage im Raum stehen: Würden wir, wenn wir wüssten, was die Zukunft bringt, anders handeln als wir es jetzt tun oder würde trotzdem jeder sein eigenes Leben so weiterleben wie bisher? Nur eines ist sicher: Aus der Perspektive von Überlebenden ist alles möglich zu erzählen.

Alle Themen und alle lauten wie leisen Töne, die Paolo Giordani in seinem Roman „Tasmanien“ unterbringt und behandelt, in einer Rezension wiedergeben zu wollen, ist schier unmöglich. Das Werk liest sich wie eine persönliche Chronik von 2015 bis 2022. Man wird an die Ereignisse in diesem Zeitraum erinnert, erlebt sie wie von Neuem und erinnert sich an die Gedanken und Gefühle, die man selbst zu dieser Zeit gehegt und empfunden hat. Und man stellt sich unweigerlich selbst die Frage: Hätte ich irgendetwas in meinem Handeln geändert, wenn ich gewusst hätte, was kommt? Paolo Giordani ist mit „Tasmanien“ wahrhaftig ein schriftstellerisches Werk gelungen, das nachhaltig zur Reflexion anregt, und dabei Gefühl und Verstand gleichermaßen anspricht. Es ist ein wichtiger Roman in unserer Zeit und zurecht das meistgelesene Buch des vergangenen Jahres.