Kein Lesegenuss

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aischa Avatar

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??? - Noch nie habe ich eine Rezension mit Fragezeichen begonnen, aber der neueste Roman von Paolo Giordano lässt mich mit derart vielen Fragen zurück, dass ich nicht recht weiß, wie ich meine Bewertung anders anfangen soll.

Da wäre zunächst das Offensichtliche: Der Protagonist des Romans weist zahlreiche Übereinstimmungen zur Vita des Autors auf, gleicher Vorname, gleiches Alter, beide sind Physiker, arbeiten aber als Journalisten und Romanautoren. Es bleibt Giordano zu wünschen, dass dies die einzigen Parallelen zwischen ihm und seiner Romanfigur sind, zu kaputt ist nämlich sein Alter Ego. Der erfundene Paolo sieht sich Enthauptungsvideos an, entflieht seiner dysfunktionalen Ehe und masturbiert in wechselnden Hotelzimmern wochenlang exzessiv, kommt mit seinem Roman nicht so recht voran, und auch die Beziehungen zu seinen Freunden sind gelinde gesagt sehr seltsam. Eine Entwicklung der Figur war für mich nicht erkennbar, und es bleibt die Frage: Was will mir der Autor damit sagen?

Das Cover erinnert deutlich an das Gemälde "Der Wanderer über dem Nebelmeer" von Caspar David Friedrich. Das Bild wird als Lebensallegorie gedeutet, ein Mann steht auf dem Gipfel und blickt in die Ferne, das kann als Metapher für Leben und Todesahnung, bislang Erreichtes und Hoffnung für die Zukunft gesehen werden. Der Wanderer im Roman ist auf der Suche, aber wieso er so unzufrieden ist, erschließt sich mir nicht. Sucht er nach einem Sinn? Was ist die Ursache für seine große Lebenskrise?

Zudem ist die wörtliche Rede nicht durch Anführungszeichen markiert, dies erschwert die Lektüre leider deutlich. Der Stil ist sehr unterschiedlich - in großen Teilen recht nüchtern, eher wie in wissenschaftlichen Veröffentlichungen als so wie man es in einem Roman erwarten würde. Dann aber gibt es brutal detaillierte Schilderungen der Folgen der über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben. Leider habe ich nicht den Hauch einer Ahnung, was das in diesem Roman zu suchen hat. Ja, Paolo möchte einen Roman über die Bomben schreiben, aber wieso? Es gibt davon schon viele, und was bewegt ausgerechnet ihn dazu?

Ebenso wenig konnte ich mich den Schilderungen terroristischer Anschläge der letzten Jahre anfangen. Sie werden relativ distanziert aufgezählt, aber wozu?

Mein Fazit: Eine Ansammlung wichtiger aktueller Themen, von Klimakatastrophe über Terrorismus zu atomarer Bedrohung, aber leider gelingt es Giordano nicht, dies in eine lesenswerte Geschichte zu bringen, die wirre Erzählung ist misslungen.