Kollaps

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rosenfreund Avatar

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Mit der Lektüre von „ Tasmanien“ von Paolo Giordano, den ich bisher nicht kannte, dringen wir in die Welt der intellektuellen Physiker ein, die eine andere, da besser informierte Weltsicht haben als die Durchschnittsbürger.
Der Protagonist, studierter Physiker, Journalist und Autor ist, Mitte dreißig und völlig überwältigt von den zunehmenden Treibhausgasen, dem Schmelzen der Gletscher und dem Anstieg der Meeresspiegel. Seine Existenz sieht er bedroht von bewaffneten Konflikten, humanitären Katastrophen wie Erdbeben und Überschwemmungen sowie Terrorismus.
Ist sein Übersteigertes Interesse an den Problemen unserer Zeit Teil seines Evasionsstrebens, da die Kinderlosigkeit seiner Ehe möglicherweise von ihm ausgeht, denn seine etwa 10 Jahre ältere Frau hat bereits einen Sohn im Teenageralter ? Seine Ehe könnte deswegen zerbrechen. Diese persönliche Krise führt zu einer inneren Blockade und Tatenlosigkeit, denn die Wärme einer Familie mit Kindern fehlt ihm. Zur „Ablenkung“ unterrichtet er Post Docs aus den Mint - Fächern in Kommunikationswissenschaften. Studenten, die sich mit kaum fassbaren Phänomenen befasst haben, und teilweise abdriften. Ein Student begeht Selbstmord! Seine Freunde Novelli und Giulio sind, wie der Protagonist, Physiker, haben auch viele Probleme, jedoch genügend Einkommen um ein interessantes, unabhängiges Leben zu führen. Mit einem Freund teilt er das Hobby, sich stundenlang Henkersszenen anzugucken. Sind die drei also auch am Abdriften?
Paolo beginnt ein Buch über die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki zu schreiben. Warum? Es wird ihm mitgeteilt, es sei doch schon alles zu diesem Thema berichtet worden.
Er und seine Freunde sind mit ihren Ecken / Kanten und Problemen differenziert dargestellt, aber ich kann mich mit ihnen nicht identifizieren. Paolos emotionale Reise zu sich selbst ist bisher auch nicht geglückt.
Der Leser erfährt viel über das Kassandra-Syndrom, das Kessler-Sydrom und diverse, sehr spezielle, physikalische Fragestellungen, die mich nur recht wenig interessieren.
Paolo ist auf der Suche nach einer Zukunft, die ihn glücklich macht. Tasmanien wird ihm als Zufluchtsort genannt. Dieser Ort ist aber synonymisch und symbolhaft anzusehen, denn er kommt in dem Buch fast gar nicht vor. Deshalb bin ich von dem Werk enttäuscht und fühle mich von dem Buchtitel an der Nase herumgeführt.
Zwar stimmen das Cover mit dem einsamen Mann am aufgewühlten Meer und der abwechslungsreiche, teilweise poetische Schreibstil, der von Andeutungen lebt. Die Vielfalt der Themen und das ständige Springen des Autors in seinem Erzählfaden machen die Lektüre aber zeitweise mühsam. Generell ist die Stimmung düster und deprimierend.
Die Themen anderseits sind herausfordernd und höchst aktuell. Das Werk ist geeignet für eine eher intellektuelle, problembewusste Leserschaft. Mein Tasmanien ist mein Garten!