Poetisch, leise und berührend trifft Giordano den Nerv der Zeit

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naibenak Avatar

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"Wo würden Sie Land kaufen? [...] Im Fall der Apokalypse. [...] in Tasmanien. Es ist südlich genug, um nicht unter extremen Temperaturen zu leiden. Es hat reichlich Süßwasserreserven, wird demokratisch regiert, und es leben dort keine Fressfeinde der Menschen. Es ist nicht zu klein, ist aber jedenfalls eine Insel, also leicht zu verteidigen. Denn man wird sich verteidigen müssen, glauben Sie mir. "

Tasmanien also wäre der Zufluchtsort, die letzte Rettung. Glaubt der Wissenschaftler und Wolkenforscher Novelli, ein Freund des Erzählers. Der Erzähler selbst - Paolo - hat wiederum sehr viel mit dem Autor Giordano gemein. Die biografischen Daten jedenfalls passen genau. Aber da es sich hier um einen fiktiven Roman handelt, wird es das auch gewesen sein. Dennoch faszinierend und ein Indiz dafür, warum dieser Roman in allem so unglaublich nahe geht und authentisch wirkt. Aber mal von vorn:

Paolo ist knapp 40, studierter Physiker, der mittlerweile als Journalist und Romanautor tätig ist. Mit seiner Frau Lorenza versucht er seit Jahren ein Kind zu bekommen. Die Versuche scheitern und Lorenza, die ihrerseits bereits einen Sohn hat, gibt auf. Das stürzt Paolo in eine seelische Krise. Er flüchtet, sucht Zerstreuung, Antworten, nicht nur auf Persönliches, sondern er bezieht gleich die weltpolitischen Krisen mit ein (die Terroranschläge der Jahre 2015-17, Sexismus und die Klimakrise insbesondere). Außerdem widmet sich Paolo seinem bereits angefangenen Buch über die beiden Atombomben von Hiroshima und Nagasaki.

Der Roman hat keinen konsequenten Handlungsstrang. Vielmehr irrt er – genau wie der Erzähler selbst – in Raum und Zeit hin und her. Schwelgt abwechselnd in verschiedenen Erinnerungen und dies mit einer oft auftretenden Unsicherheit, konzentriert sich dann intensiv auf das unvollständige Buch, verzweifelt an so Vielem, was auf der Welt vor sich geht und findet zum Ende hin den Bogen zurück zu sich selbst. Er ist durchaus da, dieser rote Faden. Aber man muss ihn finden und das kann manch eine*n vielleicht etwas ermüden.

Was mich tief beeindruckt hat, sind die Schilderungen von Augenzeugen der damaligen Atombombenunglücke. Und ich verstehe den (Welt)Schmerz einmal mehr, der einen hin und wieder überkommen könnte und es auch tut.

Die Sinnkrise dieses Mannes in Verbindung mit den Weltthemen machen den Roman zu keiner leichten Kost. Er hat einen traurigen, deprimierenden Grundton. Dennoch nicht ohne Licht am Ende der Reise. Ein Finden zu sich selbst ist jedenfalls ein guter Anfang.

Mich hat der Roman sehr berührt. Giordano ist zweifellos ein Meister der leisen, poetischen Töne. Ich nehme ihm jedes Wort, jede Gefühlsregung ab. Er hat die Zerrissenheit des Erzählers glaubhaft gemacht und mich mitgenommen auf seiner Reise „nach Tasmanien“, seinen Zufluchtsort im Inneren. Toll!