Ersatz für John Watson... kann das gut gehen?

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caillean79 Avatar

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Für Leser des „klassischen“ Holmes von A. C. Doyle würde es wohl eher eine Tortur, diesen Roman von Annelie Wendeberg lesen (und rezensieren) zu müssen. Denn Doyle hätte wohl die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wenn er seinen Helden mit einer Frau an seiner Seite gesehen hätte - und dann noch mit einer Frau, die sich als Mann ausgibt.

Zum Glück bin ich zu Holmes gekommen wie die Jungfrau zum Kinde – erst durch die fantastische Adaption von S. Moffat/M. Gatiss fürs britische Fernsehen wurde ich zum Sherlock-Fan - und bin deshalb dieser unkonventionellen Idee gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen. Die Autoren der Fernsehserie tun schließlich etwas ähnliches wie die Autorin hier – sie verwenden die Figur von Holmes unorthodox in einem anderen Kontext bzw. mit anderen Personen. Im Falle der Fernsehserie wurde Holmes in die Neuzeit geholt, sein Gefährte John Watson blieb ihm dabei (glücklicherweise!) als perfekter Gegenpart erhalten. Frau Wendeberg versucht es hier offensichtlich mit einem neuen Gespann – Holmes und die nur in ihrer Version der Geschichte existierende Dr. Anna Kronberg (im Buch Anton, aus gewissen Gründen…).

Ob das Zusammenspiel der beiden ähnlich gut funktioniert wie zwischen Watson und Holmes und ob Anna vielleicht sogar zu mehr werden kann als nur zur Stichwortgeberin für den brillianten Ermittler, das muss das Buch erweisen. Nur um eins bitte ich: HOFFENTLICH wird es keine Liebesgeschichte. Das wäre einfach sehr weit vom Charakter eines Holmes entfernt und ich fürchte, es würde die Geschichte auf das Niveau eines besseren Groschenromans senken, in dem sich die Autorin einfach den Bekanntheitsgrad der Figur zu Nutze gemacht hat. Und diese vermeintliche Erleichterung (die Figur muss nicht neu entwickelt werden) kann dann auch schnell ihr Genickbruch werden. Denn kaum ein Leser, der S.H. bereits kennt, möchte den Detektiv in einer seichten Schnulze erleben, in der er einer (natürlich starken und stolzen und mindestens genau so intelligenten) Frau verfällt. Die einzige, die dazu fähig war, das introvertierte Superhirn ein wenig aus der Reserve zu locken, ist und bleibt Irene Adler (aus „Ein Skandal in Böhmen“). Und das ist aus meiner Sicht auch gut so. Alles andere wäre irgendwie... (um mit den Worten einer guten Freundin zu sprechen) "too much James Bond".

Aus der Leseprobe allein kann ich noch nicht wirklich schließen in welche Richtung die Reise geht. Kann sein, Frau Wendeberg überrascht mich. Kann auch sein, ich verfluche das Buch nach 100 Seiten. Ich bin gespannt, was sie aus dem Ansatz eines neuen „Partners“ für S. H. macht. Und ob Watson trotzdem eine Rolle hat. Und Mrs. Hudson. Und Lestrade. Und wie das dann mit „der Neuen“ zusammenpasst…

Einen Pluspunkt muss man allerdings vergeben: Das Cover ist einfach richtig gut gelungen, und trägt auf einen Blick die Atmosphäre des viktorianischen London an den Leser heran.