Zu wem wirst du, wenn alle dir zuhören?

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federchen frost Avatar

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Als April auf dem Weg nach Hause eine dubiose Statue in den Straßen New Yorks sieht und mit Andy, einem Freund aus Studientagen, über diesen Fund auf Social Media berichtet, kann sie noch nicht wissen, dass sie ihr Leben gerade mit nur einem Video für immer verändert. Es stellt sich heraus, dass diese Statue kein Einzelfall ist, sie überall auf der Welt wie aus dem Nichts aufgetaucht sind und sich niemand einen Reim aus ihnen machen kann. Als Erste, die davon berichtet, wird April das Gesicht dieser mysteriösen Begebenheiten und gerät schon bald ins Scheinwerferlicht aller Bühnen der Welt. In seinem neu aufgelegten Roman erzählt Hank Green nun die Geschichte von April als Rückblick, der einen an so manchen Stellen schaudern lässt.
Von Beginn an wird klar, dass April eine Protagonistin mit zahlreichen Ecken und Kanten ist. Als bisexuelle und bindungsunfähige Künstlerseele zeigt sich in ihr eine schwer greifbare Tiefe, die einen direkt in ihren Bann zieht. Die Art, auf die sich April zugunsten des Medieninteresses selbst in eine Marke verwandelt, ist faszinierend zu verfolgen und läuft harmonisch neben dem zweiten Roten Faden der Geschichte, der sich mit dem Erscheinen der Carls, wie die Skulpturen weltweit genannt werden, befasst. Die Schlagkraft, die die digitalen Inhalte von April und Andy haben, überrascht in unserer heutigen Zeit vielleicht nicht mehr allzu sehr, aber es ist dennoch beängstigend, darüber zu lesen, wie viel Macht Social Media über den Werdegang eines einzelnen publizierten Wortes und damit über das ganze Leben eines Menschen haben kann.
April jedenfalls erliegt der neu gewonnenen, weltweiten Aufmerksamkeit schnell und man möchte sie fast unsympathisch dafür finden, ihre Einstellungen und Werte so zügig für die Massentauglichkeit zu opfern. Man kommt dennoch nicht umhin, zu hinterfragen, ob man in einer solchen Situation – und mit der Aussicht auf vermeintlichen Reichtum und Ruhm – nicht ebenso gehandelt hätte.
Hank lässt einen im Verlauf des Romans die Entwicklung von April, die schnell auch die Schattenseiten der Aufmerksamkeit kennenlernen muss, mitverfolgen und serviert hier einen Krimi der Extraklasse, den man einfach nicht aus der Hand legen kann, da man unbedingt erfahren muss, wie es weitergeht – mit April, den Carls, der Welt, wie wir sie kannten. Auch wenn man sich dafür oft selbst den Spiegel vorhalten muss.
„The April Story“ ist eine Geschichte, die mit schockierender Realitätsnähe, einem Kaleidoskop an Persönlichkeiten und einer Flut von Geheimnissen gespickt mit der grausamen Unzulänglichkeit und Brutalität der Menschheit fesselt, aufrüttelt und – zumindest mich – begeistert.
Ein schmaler Grat von Faszination zu Fanatismus, auf dem man bis zur letzten Seite mit April balanciert und jede Sekunde davon hasst, weil man es so liebt.