Leiser Thriller zwischen Emotionen und Kalkül

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Nach der Scheidung von Richard lebt Vanessa bei ihrer Tante in New York. Schnell wird deutlich, dass die junge Frau unter der Trennung leidet. Sie hat stark abgenommen und zieht sich immer mehr zurück. Ab und zu schreibt sie ihrem Ex noch eine SMS und hofft auf eine Antwort. Doch Richard ist inzwischen mit Emma, seiner ehemaligen Assistentin, verlobt.

Nach den ersten Kapiteln und der Vorstellung von Vanessa und Nellie kam mir unweigerlich der Gedanke an Girl on the Train, weil auch dort eine Frau unangemessen intensiv um ihre vergangene Beziehung trauert. Das sind aber schon die einzigen Parallelen. Das Autorinnenduo Greer Hendricks und Sarah Pekkanen bauen ihren Entwicklungsroman geschickt auf. Zunächst bringen sie einem die Figuren näher, was durch die Ich-Person Nellie noch verstärkt wird. Gegenwart und Vergangenheit wechseln zusätzlich miteinander ab, sodass man auch die Entstehungsgeschichte der Handlung überblickt. Hinzu kommt immer wieder Richard, der ein neues Leben mit Emma begonnen hat. Allerdings lassen die Ausschnitte immer nur ein kleines Segment aus dem ganzen Geschehen erkennen, sodass man lange rätselt, wie alles zusammen hängt. Jeder scheint eine gut getarnte Vorgeschichte zu haben. So baut sich der Spannungsbogen stetig auf.

Der New York Times-Bestseller ist in drei Teile gegliedert, die mit einigen Wendungen aufwarten, um immer wieder Fragen aufzuwerfen, was denn nun tatsächlich geschah, oder was womöglich nur Wunschdenken ist. Für jede Figur wurde ein sorgfältiges Psychogramm entworfen, das mehr als einen Schluss zulässt. Ich konnte mich lange nicht entscheiden, ob Vanessa nun ihren Ex und seine Neue stalked, oder ob Richard nun ein böses Spiel mit beiden spielt. Womöglich ist auch Emma nicht die Unschuld, die sie vorgibt zu sein. Je nach Informationsstand war ich entweder überrascht oder runzelte die Stirn, dass die Lösung doch wohl nicht dermaßen platt sei. So viel vorweg: Sie ist es nicht. Die Handlung ist durchdacht und am Ende fällt das letzte Puzzleteil, um ein Gesamtbild zu präsentieren, dass ich anfangs nicht erahnt habe.

Der Roman lebt von diesen Überraschungsmomenten. Versierte Leser kommen möglicherweise früher auf die Spur, was meiner Meinung aber den Lesespaß mindert. Der flüssige Erzählstil hat mich obendrein veranlasst, das Buch viel zu schnell zu lesen. Die Autorinnen mischen romantische Träume mit den Abgründen der menschlichen Seele, sodass ein vielversprechendes Debüt entstand.