Fortsetzung folgt?

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linus63 Avatar

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Die Kinder sind erwachsen, die Kommunikation in der Ehe bleibt langsam auf der Strecke. So beschließt die achtundvierzigjährige Oberärztin Marion Sanders, sich eine Auszeit zu nehmen und sich zu einem Einsatz bei "Ärzte ohne Grenzen" zu melden. Während ihrer Vorbereitungszeit in Paris wohnt sie bei einem befreundeten Ehepaar, das sie seit ihrer Kindheit kennt. Dort ist ebenfalls das syrische Flüchtlingsmädchen Zahra untergebracht, zu dem sie trotz dessen Verstörung bald einen Zugang findet ...

Der Titel „Tochter der Angst“ steht stellvertretend für das Thema „Kinder der Angst“ - Alex Bergs Bezeichnung für Kinder, deren Schicksal durch Krieg, Vertreibungen, eine „falsche" Religion oder eine „falsche" ethnische Zugehörigkeit bestimmt ist (S. 288/289). Sie streift dabei eine Vielzahl von Themen wie z.B. Flüchtlinge, Asylanten und den Krisenherd im Nahen Osten. Ihr Hauptaugenmerk im vorliegenden Roman liegt auf Zahra, die vor dem Hintergrund des syrischen Bürgerkrieges als Teil eines Deals in den Fokus und zwischen die Fronten gerät, in dem es um die Missachtung eines bestehenden Wirtschaftsembargos geht, in das neben einem syrischen Wirtschaftsboss hohe Regierungsbeamte verschiedener Länder involviert sind. Getrennt von ihrer Mutter, allein in einem fremden Land und traumatisiert, muss sie sich in einer völlig neuen Umgebung zurechtfinden. Die Autorin informiert leider nur sehr sparsam über Hintergründe und Zusammenhänge, und deutet vieles nur an, so dass der Leser ein grobes Bild erhält, ihm aber viel Spielraum für seine eigene Vorstellung bleibt.

Wieder einmal überzeugt Alex Berg durch ihren intensiven Schreibstil, der das Geschehen detailliert beschreibt, dabei jedoch immer zügig auf den Punkt kommt, mich völlig gefangen nimmt und in die Geschichte abtauchen lässt. Sie versteht es, durchgehend eine unterschwellige Spannung aufzubauen, sei es durch Andeutungen möglicher Zusammenhänge, die sich teilweise im Laufe der Geschichte bestätigen, oder auch durch den geschickten Einbau von Szenenwechseln in spannenden Momenten. Mehrere parallele Handlungsstränge sorgen für ein flottes Tempo, und laufen am Ende schlüssig zusammen. Die Protagonisten werden greifbar und anschaulich dargestellt und gewähren dem Leser dabei so viel Einblick in ihre Gefühle, dass er ihre emotionalen Reaktionen und ihr Handeln mitempfinden und nachvollziehen kann.

Weniger gefällt mir die Tatsache, dass die Geschichte zwar sehr anschaulich und plausibel ist, letztendlich aber zu viele lose Enden bleiben. Es gibt Handlungssprünge, in denen offensichtlich gravierende Ereignisse stattgefunden haben, ohne dass der Leser weiß, was genau passierte. Rückblickend muss ich jedoch zugeben, dass dies keinen Einfluss auf das Verständnis der Geschichte hatte. Doch auch am Ende des Buches habe ich das Gefühl, dass zwar einige Dinge geklärt sind, aber viele mir wichtige Punkte noch offen sind. Es ist, als hätte ich den ersten Teil einer Serie gelesen, und die Aufklärung der offenen Fragen und der sich anbahnenden Beziehungen erfolgt im nächsten Teil.

Insgesamt hat mir "Tochter der Angst" sehr gut gefallen. Alex Berg fesselt mit einer intensiven, plausiblen und anschaulichen Geschichte, die mich völlig gefangen nahm, und die volle Punktzahl erhalten hätte, wenn es am Ende weniger offene Fragen gäbe, oder zumindest eine Fortsetzung in Aussicht stünde ...