Warum ist ein friedliches Miteinander einfach nicht möglich!?

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ismaela Avatar

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In "Tochter einer leuchtenden Stadt" wird die Geschichte von drei Familien erzählt, die in der Stadt Izmir (früher Smyrna) leben, friedlich neben- und miteinander, obwohl sie verschiedenen Religionen und Ethnien angehören: griechisch, türkisch, levantinisch. In diesen Geschichten stehen jeweils die Frauen im Vordergrund und werden in einer großen Detailverliebtheit auf ihrem Lebensweg begleitet. Während die Männer die meiste Zeit in ihren Clubs oder in Kaffeehäusern verbringen, bilden die Frauen den Kitt der Gesellschaft, verrichten Arbeit, kümmern sich um die Alten, um Kinder und Haushalt und pflegen Freund- und Bekanntschaften, die die vielfältige Gesellschaft von Smyrna bereithält.
In dieser quirligen und leuchtenden Stadt kommt ein kleines Mädchen auf die Welt, die - ungeplant - in einer griechischen Familie aufwächst, später in einer türkischen weiterlebt, aber eigentlich von einer Levantinerin abstammt. Durch verwickelte und verschlungene Ereignisse, Umstände, teilweise auch Intrigen, durchlebt dieses Mädchen das blühende Smyrna, wird beim großen Massaker und Brand schwerst verletzt und traumatisiert, um dann schlussendlich ihren Frieden im "neuen" Izmir zu finden.

Defne Suman hat einen schier übersprudelnden Roman geschrieben, voller Personen, Orte, geschichtlicher Hintergründe, Schiksale und Lebenswege. Die Kapitel sind zwar überschaubar, allerdings wird in den jeweiligen Handlungssträngen, der Zeitebene und der Erzählform sehr impulsiv hin- und hergesprungen. Es gibt am Ende des Buches ein Personenregister, aber auch das erleichtert das Lesen nur bedingt. Auch sind die geschichtlichen Ereignisse, die real stattgefunden haben, nicht immer nachvollziehbar, wenn man von dieser Zeit nur wenig oder keine Anhnung hat.

Warum mir das Buch trotzdem sehr gut gefallen hat?

Irgendwann habe ich nicht mehr versucht, alles bis ins Detail nachvollziehen oder verstehen zu wollen, sondern habe einfach gelesen - vieles erschließt sich dadurch von selbst, und sehr bald versteht man auch, wann die Kapitel in der Ich-Form spielen und was der Hintergrund ist. Die Sprache ist wie die Stadt selbst: bunt, dynamisch, plastisch - manchmal hat man den Geschmack von Safran direkt auf der Zunge, oder den Weihrauch in der Nase.
Dem Buch hätte der eine oder andere lose Faden weniger nichts von seiner Fülle genommen, aber das Lesen ein bisschen leichter gemacht. Gerade zum Schluss hin, als sich die Ereignisse zuspitzen und das Morden anfängt, geht es Schlag auf Schlag, sodass man bald kaum noch hinterherkommt, wer nun von wem niedergemetzelt wird, wer überlebt, wer die Stadt auf den Evakuierungsschiffen verlassen kann... Vor allem die letzten Kapitel, in denen die Autorin teilweise sehr drastisch die (Massen-)Vergewaltigungen von kleinen Mädchen und Frauen schildert konnte ich kaum lesen, ohne an die Ukraine (oder jede andere Kriegsregion der Welt) denken zu müssen.

Insgesamt ist "Tochter einer leuchtenden Stadt" ein auf der einen Seite wunderschönes Bild einer harmonischen Metropole, in der die Menschen miteinander leben, lieben und trauern. Auf der anderen Seite aber wieder ein Beispiel für das Grauen und das Entsetzen, wenn durch sinnlosestes Macht- und Hegemonialstreben Menschen ihr Leben verlieren, und die Welt mit Schmerz, Tod und Vernichtung überzogen wird.