Zu viel gewollt...?

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singstar72 Avatar

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Dolores Redondo ist bei weitem keine schlechte Schriftstellerin. Ihr Erfolgsroman "Alles, was ich dir geben will" hat auch mich beeindruckt. Aber genau hier liegt meiner Ansicht nach der sprichwörtliche Hase im Pfeffer: sie ist eine Autorin von Romanen, von episch-dramatischen Geschichten. Diese Schreibweise dann 1:1 auf einen Thriller zu übertragen, ist ein literarisches Wagnis, das ich nur halb geglückt finde.

Ich kenne die anderen Bände der "Baztan"-Trilogie nicht, zu denen das vorliegende Buch wohl so eine Art "Prequel" sein soll. Vielleicht erschlössen sich mir dann weitere Zusammenhänge. So kann ich nur beurteilen, was ich hier vorfinde. Es ist ein Thriller - ja, aber eben nur "unter anderem". Des weiteren beigemengt, mit munterem Enthusiasmus, sind a) ein Familiendrama um die Kindheit der Ermittlerin Amaia Salazar, b) die Geschichte des Hurrikans "Katrina" in New Orleans, und c) Geister und Voodoo in Louisiana. Jedes für sich genommen, hätte einen respektablen Roman abgegeben. So aber wirkte das Buch auf mich überladen, wie eine Buttercremetorte mit Waffeln und Eiscreme gleichzeitig!

Der Thriller-Anteil ist solide ausgeführt. Ein Serientäter löscht im Umfeld von Naturkatastrophen ganze Familien aus, und lässt es wie Kollateralschäden aussehen. Amaia Salazar hat eine nahezu unheimliche Intuition, die sie auch gegen Widerstände ihrer Kollegen durchsetzt. Und es gibt tatsächlich einen ansprechenden Showdown - der aber wesentlich besser gewirkt hätte, wäre das Buch 200 bis 300 Seiten kürzer.

Die Ausflüge bzw. Rückblenden in ihre Kindheit wirken für mich wie Fetzen eines Albtraums. Bezug zur Haupthandlung : gleich Null! Insofern für mich entbehrlich. Die Autorin hat diesen Sequenzen mystische Anteile verliehen, die sich lesen wie aus alten Märchen - "Hänsel und Gretel" etwa, oder "Rotkäppchen und der böse Wolf". Gut, man kann argumentieren, durch diese Kindheit hätte Amaia sich ihren Instinkt erworben. Dennoch, zu viel des Guten.

Gut geschrieben war alles rund um Hurrikan "Katrina". Die Auswirkungen auf die Menschen und die Stadt, sowie das administrative Chaos, werden sehr plastisch geschildert. Dennoch, im Rahmen des Thrillers sehe ich hier wenig Zusammenhang; es hätte durchaus genügt zu erwähnen, dass der Täter im Rahmen von Naturkatastrophen zuschlägt.

Gänzlich befremdet hat mich jedoch der Anteil "Voodoo" zurückgelassen! Zumal hier einiges sehr verkürzt dargestellt wird, wie jeder feststellen wird, der sich schon einmal mit Weltreligionen befasst hat. Und immerhin, ja, Voodoo ist eine ernstzunehmende, praktizierte Religion, auch heute noch. Das hat die Autorin erwähnt. Aber was bringt mir das, auf Mörderjagd?? Und warum auch noch die Familiengeschichte von FBI-Agent Dupree damit verbinden?? Ich habe nur noch mit dem Kopf geschüttelt. Wohlgemerkt, das, WAS sie geschrieben hat, entbehrte nicht eines gewissen Interesses. Wäre aber in einem eigenen Roman besser gewesen.

Kurioserweise ließ sich das Buch durchaus gut lesen - lässt den Leser, der nach einem spannenden Thriller suchte, aber mit einem gewissen Völlegefühl zurück. Ich würde es nur sehr bedingt empfehlen.