Ein bizarrer Krimi und starker Female Empowerment Roman

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berni47 Avatar

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Inhalt: Marta Campos stürzt sich nach ihrem Gespräch bei Polizeichef Dr. Wilson Carvana aus einem Fenster des Polizeireviers und stirbt. Marta hat sich auf einer Partnerbörse im Internet in sexystudent88 verliebt. Der Gauner hat sie so um seinen kleinen Finger gewickelt, dass er sie wie eine Weihnachtsgans ausnehmen konnte. Ihr ganzes Hab und Gut hat er gestohlen. Sogar ihr Auto. Und bei ihrer ersten und einzigen persönlichen Verabredung hat er Marta mit einem Pilz angesteckt, der nur auf Leichen wächst. Der Betrüger ist ein Nekrophiler! Marta hat sich so geschämt, dass sie gar nicht zur Polizei wollte. Doch man hat sie überredet. Als Carvana sie dann abgekanzelt und keine Anzeige aufgenommen hat, war sie so verzweifelt, dass sie sich aus dem Fenster stürzte. "Jetzt wird er mich lieben können" waren ihre letzten Worte.
Eine Tote liegt auf dem Asphalt vor dem Polizeirevier. Da ist die Presse natürlich gleich vor Ort. Carvana, der sich wegduckt, schickt seine Assistentin Verônica Torres vor, damit sie ein kurzes Statement abgibt. Janetes Mann, der Militärpolizist ist und Carvana nicht leiden kann, verfolgt die Berichterstattung hämisch im Fernsehen. Und Janete sieht Verônica, zu der sie Vertrauen fasst. Denn schon lange fürchtet sie, dass ihr Mann junge Frauen misshandelt. Doch ermordet er sie auch?

Figuren: Im Prolog erwacht ein Mörder aus einem Albtraum. Er hat von seiner Kindheit geträumt. Nachdem er von seiner Mutter verlassen worden ist, wuchs er bei seiner Großmutter auf, die ihn oft in eine Kiste zu den jungen Vögeln sperrte. Auch hing ihn seine Oma in Ketten an den Armen auf, bis er eine Melodie perfekt pfeifen konnte.
Nach dem Prolog gibt es Kapitel von Verônica und von Janete. Und ich mag Veronica, die die wohl ungewöhnlichste Polizistin ist. Veronica ist nach einem Selbstmordversuch nur die Sekretärin des Polizeichefs, obwohl sie eine gute Ermittlerin ist. Wie sie mit Marta als Opfer eines Betrügers mitleidet, macht sie sympathisch. Wie sie ihren Chef manipuliert, gerissen. Als unsichtbare Sekretärin, die sonst nur mit ihrem Orientierungssinn, gegen die Untiefen ihrer Handtasche und ein paar Pfunde zu viel auf ihren Hüften kämpft, nimmt sich der Fälle von Marta und Janete an. Ihre ersten Versuche sind stümperhaft. So bricht sie in das Haus eines Verdächtigen ein, um sich umzusehen, ohne ihre Spuren zu verwischen. Raffiniert ist sie aber, wenn sie sich ständig neue Lügen und Ausreden ausdenkt, um Zeit für ihre inoffiziellen Ermittlungen zu haben. Erst muss sie aber erkennen, dass Beweise zu finden nicht so einfach ist, wie sie sich das gedacht hat. Bis sie dann doch Fortschritte macht.
Janete lebte mit ihrer kranken Mutter und ihren drei Schwestern im Landesinneren, bevor sie mit ihrem Mann Brandão durchbrannte. Der ist Militärpolizist und hat Janete von ihrer Familie isoliert, seit sie in São Paulo sind. Sie hat sich aus den sozialen Medien abgemeldet. Da sie nicht zur Beerdigung ihrer Mutter in die Heimat ging, telefoniert sie nicht mehr mit ihren Schwestern. Jeden ihrer Anrufe kontrolliert Brandão und ihren Internetverlauf, da er um ihre Sicherheit besorgt ist. Janete ist Brandão ergeben, doch fürchtet sie ihn auch. Er zwingt sie einmal im Monat eine junge Frau am Busbahnhof anzusprechen, um ihr eine Stelle als Hausmädchen anzubieten. Doch was wird aus den Frauen?
Die Figuren sind ganz schön schräg. Mal skurril lustig, mal absolut erschreckend und immer unerwartet anders. Ich finde das originell. So enthält der Prolog die Gedanken des ungewöhnlichsten Serienmörders. Der erlitt eine ihn traumatisierende Kindheit, in der seine Oma ihn wie einen ihrer Vögel behandelte. Nun bestraft er Frauen, die wie seine Mutter ihre Familie verlassen und ihre Kinder zurücklassen, um sich in ein besseres Leben fortzustehlen.

Fazit: Das Buch ist ein Krimi, der anders ist. Anders ist São Paulo. Da trocknen Polizisten ihre Uniform nicht im Garten, sondern hinterm Kühlschrank, weil sie so gefährlich leben. Anders sind die Verbrecher. Ein nekrophiler Betrüger, der seine Opfer um ihr Hab und Gut bringt und in den Selbstmord treibt, um ihre Leichen zu stehlen. Und ein Serienmörder, der als Kind zu Vögeln in die Kiste gesperrt wurde.
Ungewöhnlich ist das Buch auch als starker Female Empowerment Roman. Stark sind die Szenen, in denen die Frauen leiden. Martas Verzweiflung ist hart, nachdem sie von ihrem Pietro betrogen wurde und dann keine Hilfe von den Männern bei der Polizei bekam. Janete wird von ihrem Mann kontrolliert und geschlagen, wenn sie sich widersetzt. Da ist klar, warum Verônica Marta und Janete helfen muss. Die haben sonst niemanden. Marta verdient Gerechtigkeit und Janete was besseres. Und Pietro und Brandao sollen nicht damit davon kommen.
Das Ende ist da nur konsequent. Das Buch kann eigentlich nicht anders enden, aber die Autoren täuschen mit geschickt angelegten Finten darüber hinweg und lenken mit falschen Spuren davon ab. Ich mochte das Ende. Aber es kann sein, dass das Ende nicht jedem gefällt. Hoffentlich erleidet der Krimi nicht das gleiche Schicksal wie der berühmt-berüchtigte brasilianische Film Tropa de Elite, dem sogar Gewaltverherrlichung vorgeworfen wurde.
Bis auf den Prolog und die Zeitungsartikel kurz vor Schluss haben nur Veronica und Janete Abschnitte. Denn die beiden Frauen verändern sich am meisten. Die Männer bleiben blass. Nur einen Teil von Brandaos Geschichte erfährt Janete, als sie ihn in einem Gespräch dazu drängt. Aber wie konnten die Betrüger, Bigamisten, Nekrophilen und Mörder zu dem werden, was sie sind? Warum tun sie, was sie tun? Sind das nur Mordlust und Geldgier oder doch mehr? Die Antworten bleiben Ilana Casoy und Raphael Montes schuldig.