Charakterstudie eines Zynikers am Rande des Zusammenbruchs plus Mord

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laberladen Avatar

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Die Wertung bewegt sich irgendwo zwischen drei und vier Sternen und ich habe aufgerundet.

Darum geht’s:

Detective Sergeant Solomon Gray wird beauftragt, den Tod des jungen Nick Buckingham aufzuklären. Nick stürzte vom Balkon eines Hochhauses und es ist nicht klar, ob er gesprungen ist oder gestoßen wurde. Verzwickt wird die Sache, als man auf Nicks Handy die Telefonnummer von Gray findet und der Polizist wenig Lust hat zu erklären, wie sie dorthin kam. Könnte Nick etwas mit Tom, dem vor 10 Jahren verschwundenen Sohn Grays zu tun haben? Die beiden wären jetzt etwa im selben Alter gewesen.

So fand ich’s:

Solomon Gray ist der Inbegriff eines „abgestürzten Ermittlers“, der unter Angstzuständen und Depressionen leidet, viel zu gerne und zu viel trinkt und sein persönliches Schicksal keine Sekunde aus dem Kopf bekommt. Das ist auch tatsächlich ziemlich deprimierend, denn 10 Jahre zuvor ist sein Sohn Tom bei einem Besuch auf dem Jahrmarkt verschwunden und Sol gibt sich die Schuld daran, weil er damals mit Tom unterwegs war und ihn alleine in die Geisterbahn hat gehen lassen. Fünf Jahre später brachte sich Sols Frau um und seine Tochter wurde von den Großeltern mitgenommen, weil Sol schon damals nicht mehr in der Lage war, sich um sie zu kümmern. Kein Wunder, dass Sol ein Zyniker ist, der nicht gerade wohlwollend mit Menschen umgeht. Einzig Dinge, die ihn auf Toms Spur bringen könnten, interessieren ihn.

Anfangs wird recht wenig erklärt und man muss sich mit Bruchstücken zufrieden geben und warten, bis sich der Nebel lichtet. Das gefällt mir zwar gundsätzlich als Stilmittel nicht wirklich gut, allerdings muss ich zugeben, dass es in diesem Buch sehr gut zu Sol und der ganzen Stimmung des Buches passt. Die Sprache ist ungeschliffen und direkt, es fehlt jede Andeutung von Poesie oder Freude, die Stimmung ist bedrückend.

Solomon Gray tritt regelmäßig den Leuten auf die Füße und wird manchmal mehr, manchmal weniger freundlich gebeten, zu verschwinden. Oft klingelt auch sein Telefon, was ihn dazu zwingt, ein Gespräch abzubrechen und davonzurasen. Alternativ wird er immer wieder in das Büro des Chefs gebeten, der macht es dringend, doch dann verpufft das Gespräch inhaltslos in allgemeinen Warnungen, Drohungen oder Äußerungen von Sorge. Das führt dazu, dass es in diesem Buch keine Dialoge zu geben scheint, die über 10 Sätze hinausgehen. Auch das passt zur Atmosphäre, die durchgehend im Buch herrscht.

Da dieser Roman im kleinen Küstenstädtchen Margate spielt, in dem jeder jeden zu kennen scheint und wo auch Sols persönliches Schicksal bekannt ist, vermischen sich seine Ermittlungen und sein Privatleben untrennbar. Und trotz all der Schicksalsschläge und Selbstvorwürfe, die ihn wie eine Aura umgeben, macht Sol seinen Job und ermittelt in dem Fall des toten Nick, der bald nicht mehr der einzige Tote ist.

Der Kriminalfall steht nicht unbedingt im Mittelpunkt der Erzählung, sondern das ist der Protagonist Solomon Gray. Ich hatte meinen Spaß an der Charakterstudie dieses Zynikers am Rande des Zusammenbruchs, auch wenn die Stimmung bis auf wenige winzige Momente, die ansatzweise hoffnungsvoll erscheinen, düster ist. Und Sol legt durchaus Selbstironie an den Tag, was mir auch gut gefallen hat.

„Totengrab“ ist der Start in eine Reihe mit Solomon Gray im Mittelpunkt und Band 2, im englischen Original unter dem Titel „Burn The Evidence“ gerade frisch erschienen, ist schon mal auf meine Leseliste gewandert. Vielleicht geht es da etwas optimistischer zu.