Poetische Irrfahrt.

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
literaturentochter Avatar

Von

»Die Mutter sieht glücklich aus, also, ehrlich glücklich. Aber der Vater? […] Er [Georg] fragt sich, ob er erste Risse zwischen ihnen übersehen hat« (S. 49).


Durch eine fehlgeleitete SMS mit pikantem Inhalt zählt Georg sofort eins und eins zusammen: sein Vater hat eine Affäre! Die Textnachricht beinhaltet einen Treffpunkt – Georg macht sich prompt auf den Weg. Er tauscht sein King-Size-Bett im Grandhotel gegen eine wilde Fahrt von Rijeka (Kroatien) nach München in einem klapprigen Opel Corsa ein. Was er dabei völlig vergisst, ist sein bester Freund Vedad. Dem hat er nämlich das luxuriöse Hotelbett zu verdanken. Vedad heiratet morgen und, so wie es aussieht, ohne seinen Trauzeugen Georg!


»Keine hundert Meter weiter zerdenkt er [Georg] schon wieder dieselbe Scheiße. Wie glücklich sind die Eltern? Hat er sie, um selbst glücklich sein zu können, als die glücklichen Menschen sehen wollen, die sie nie waren?« (S. 72).


Auf der Fahrt hat Georg viel Zeit, sich Gedanken über die Ehe seiner Eltern zu machen. Er will die Ehe der Eltern retten und gleichzeitig versaut er durch diese Hals-über-Kopf-Aktion womöglich die Hochzeit seines besten Freundes Vedad.


Erzählt wird die Geschichte anhand zwei sich abwechselnden Erzählsträngen. Während der gegenwärtige Strang auf der einen Seite nur ein paar Stunden abbildet, begleiten wir Georg auf der anderen Seite durch verschiedene Station in seiner Kindheit und Adoleszenz. Inhaltlich liegt der Fokus hierbei auf familiären Erinnerungen, die wie Tagträume auf einer langen Autofahrt wirken.
Der Schreibstil ist lyrisch, häufig umschreibend. Die Sprache ist klug und humorvoll. Manchmal wirkt Georg, der sich auch im Erwachsenenalter kindliche Glaubensansätze beibehalten hat, beinahe deplatziert durch die bildungsbürgerliche Wortwahl des Autors.


Durch die Rückblenden lernt die Leser:innenschaft Protagonist Georg und sein Verhältnis zu seinen Eltern zwar besser kennen, aber das Buch wird dadurch auch in die Länge gezogen. Der gegenwärtige Erzählstrang rückt mit jeder Anekdote leider noch mehr in den Hintergrund. Hier verschenkt Stefan Sommer potential, da das emotionale Erleben den Fokus eher auf die Erinnerung legt, anstatt sich auf das Hoffen, Zaudern, Wüten und Bangen in der Gegenwart zu konzentrieren.


Optisch gefällt mir das Buch sehr gut. Das Umschlagmotiv zeigt das Bild »Hey, that’s no way to say goodbye« von Nancy Friedland.
Spannend sind die Bezüge zur Astronomie im Text und in der Bezeichnung der drei Kapitel: »Partielle Phase«, »Totale Finsternis« und »Bailysche Perlen«.

Wie bei einer Sonnenfinsternis verdunkelt sich die Geschichte um Georg und seine Familie immer mehr, seine Gedanken werden zunehmend verworrener, erst ganz am Ende funkelt uns die Wahrheit in Papierform entgegen.