Ein grenzüberschreitendes Werk

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mariederkrehm Avatar

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Die Grenze zwischen dem Wahren, dem Erträumten und dem Möglichen verschwimmt in dieser knapp 150 Seiten kurzen Geschichte, die dem jungen Joseph Coppock eines Tages den Besuch eines fahrenden Händlers beschert. „Klüngelkerl“ würde man ihn hier nennen, einen Altstoffsammler, der nicht mehr Benötigtes entsorgt und woanders wieder zu Geld macht. Historisch galten sie oftmals als sozial ausgegrenzt und die Androhung ihres Erscheinens wurde eingesetzt, um Kinder zu ängstigen.

Ein Wanderheiler der Erkenntnis ist dieser Treacle Walker, denn er bringt Joe dazu, sein stets bedecktes Auge zu nutzen, das er eigentlich schonen soll, um das andere, angeblich schwachsichtige, zu trainieren. Das schwache Auge jedoch sieht die reale Welt. Das verborgene Auge entblößt dagegen auch Dinge und Eindrücke jenseits des Offensichtlichen.

Thin Amren, den Mann aus dem Sumpf, kann Joe deshalb nur mit diesem Auge sehen. Ein echtes Rätsel gibt die Buchstabenreihe auf, die Joe bei einem Sehtest vorträgt, den er mit dem hellsichtigen Auge macht, die aber de facto gar nicht auf der Sehtafel existiert.

Der Ruf des Kuckuck, die Welt jenseits des Spiegels, ein Lauf durch den Tunnel, der Rollentausch von Joe und Treacle - viel weist daraufhin, dass der Tod dem Jungen einen Besuch abstattet. Aber wie bei jedem Kunstwerk lässt sich auch diese Fantasygeschichte voller literarischer, mythischer und historischer Andeutungen unendlich interpretieren.

Acht Jahre hat sich der 88jährige britische Autor Alan Garner, der seine Bücher noch mit dem Stift zu Papier bringt, Zeit genommen, um „Treacle Walker“ zu schreiben. Nur knapp hat er damit im vergangenen Jahr den Booker Prize verpasst. Er schaffte es bis auf die Shortlist.