Ein Roman mit der Treffsicherheit eines Großkalibers

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Hunter White, (einige Name sind hier Programm), ein reicher weißer Amerikaner, der sein Geld mit Finanzblasen verdient, findet Befriedigung im Töten, aus Trophäen macht er sich nichts, die legt er seiner Frau vors Bett. Er hat eine Unsumme gezahlt, um das letzte Tier seiner Big-Five-Sammlung zu jagen, ein Spitzmaulnashorn. Doch diesmal wird ihm die Beute von Wilderen vor der Nase weggeschnappt. Hunter fühlt sich betrogen um sein Recht. Van Heeren (niederl. Herren), sein Jagdveranstalter, macht ihm ein unmoralisches Angebot; nur wenige bekommen die Chance, die Big Six zu jagen. Und dieses Raubtier ist klüger und gefährlicher als jedes andere und kann nun zu seiner Beute werden. Ist der Mensch nicht das größte Raubtier auf Erden? Warum also nicht auch ihn jagen? Hunters anfängliche Skepsis wandelt sich in seinem kranken Hirn bald in einen Jagdinstinkt und er versinkt in einem Rausch aus Jagdfieber, Wassermangel und Hitze.

Dieses Buch ist eine Herausforderung, es ist brutal, schonungslos, provozierend. Ich will nicht weiterlesen, muss aber hinschauen. Immer wieder lege ich es weg und denke: STOP! Doch Hunter hat mich längst im Visier, meine Vorstellung von Moral, Ethik, der Jagd. Ich schwanke, ich zweifle. Was ist nun richtig, was falsch? Schoeters nimmt sich Zeit, um sich in mein Hirn zu schleichen. Okay, ich habe es längst verstanden: Ich bin hier die Beute. Umzingelt von den Geräuschen der Savanne, ausgesetzt in der Gluthitze des afrikanischen Kontinents, der unter der postkolonialen Ausbeutung ächzt und schnaubt wie ein weidwundes Nashorn. Ich bin ein Teil der westlichen Welt mit ihrer Doppelmoral, ihrem Anspruchsdenken, ihrer angeblichen Überlegenheit.

»Ethik, hat Hunter gelernt, hat überall auf der Welt die gleiche Farbe: die des Dollars.« S.30

Die Dilemmata der afrikanischen Bevölkerung sickern wie heißer Sand in den Kopf, es reibt und drückt und wird immer unbequemer.

»Nur dank der sündhaft teuren Jagdlizenzen kann in Ländern wie diesem der Artenschutz gefördert werden, denn nur das, was von wirtschaftlichem Wert ist, ist es wert, geschützt zu werden. Hier, in Afrika, scheren Löwe Cecil und seine Artgenossen die Leute einen feuchten Kehricht. Trügen sie kein Preisschild, würden sie die molligen Kätzchen einfach abknallen: für den Export oder den Kochtopf.« S.29

Ich weiß nicht, wann ich zum letzten Mal ein so dicht und intensiv erzähltes Buch gelesen habe. Man kann es nicht einfach nur lesen, man muss es durchleben, aushalten, ist angewidert, verstört. Ihre detailreichen Naturschilderungen, auch dank der exzellenten Übersetzung von Lisa Mensing, lassen uns sogartig verschmelzen mit dem wundervollen Kontinent und seiner prächtigen Tierwelt; Bilder, wie sie bisher nur Hemingway in meinen Kopf gesetzt hat. Wie fehl am Platz sich da doch weiße Männer wie Hunter White und Van Heeren anfühlen, die hier wie durch ihren Vorgarten latschen, aus dem sie sich nach eigenem Belieben bedienen dürfen.

Am Ende setzt Schoeters einen sauberen Schuss. Ich fühle mich endlich befreit vom Rausch der letzten Seiten, kann das Buch aber nicht von mir abschütteln, denke noch lange drüber nach, bin wütend. Es hat eine offene Wunde in mir hinterlassen, aus der unablässig Fragen tröpfeln. Ich ringe nach Luft und Worten und höre noch die Hyänen kichern und geifern.

»Trophäe« ist ein atemberaubender Roman mit der Treffsicherheit eines Großkalibers. Dimitri Verhulst bringt es auf den Punkt – "ein ethischer Mindfuck". Definitiv ist es jetzt schon mein Jahreshighlight.